Das Glück und die Entwicklung des Menschen hängen zusammen. Die Reise des menschlichen Lebens findet nicht im Raum statt, sondern im Verständnis und in der Weisheit – im Bewusstsein. Das eigentliche Ziel jedes menschlichen Lebens ist damit das Wachsen im Bewusstsein. Der Weg dorthin führt über das Wachsen im Geiste und im Herzen, im Verständnis und Gewissen, in der Fähigkeit zu lieben.
In den meisten Kulturen außer der westlichen gehört Demut zum Wertekanon. Zu diesem Ideal haben wir im Westen keinen leichten Zugang. Wir verbinden Demut mit Unterwerfung und sehen darin eine Beschränkung unserer individuellen Freiheit. Was Demut in den anderen Kulturen bedeutet, hat etwas mit der Einsicht eigener Unzulänglichkeiten, mit der Bereitschaft etwas Neues zu lernen, mit der Anerkennung der Größe der Schöpfung zu tun. Die so verstandene Demut ist die Voraussetzung der inneren Entwicklung des Einzelnen und des Friedens zwischen den Menschen. Demut und die Überwindung des Egoismus bezeichnen denselben Zustand des Geistes und Herzens.
Indien hat auf Demut eine Kultur aufgebaut, die schon über mehrere Jahrtausende lebt.
Wir haben in unserem Kulturkreis einige Werte, die uns Zugang zur so verstandenen Demut erlauben. Wir müssten die Demut nur schätzen lernen und in den Kanon unserer Grundwerte aufnehmen. Warum? Weil wir ohne sie die Natur zerstören werden. Weil wir ohne Demut das Ziel unserer Existenz, das Wachsen in der Menschlichkeit, nicht erreichen können.
Ein westlicher Wert ist eng mit der Demut verwandt: das Pflichtbewusstsein. Was uns speziell die indische Philosophie ergänzend sagt, ist, dass wir keinen Frieden haben können, wenn wir unser Pflichtbewusstsein nicht auch nach innen wenden. Wenn wir Frieden in der Gesellschaft haben wollen, müssen wir Frieden in uns selbst erreichen. Es gibt keine andere Methode. Der Frieden ist das Ergebnis einer harten Arbeit und sie findet im Geist und im Herzen eines jeden von uns statt.
Das Pflichtbewusstsein hat unter den westlichen Werten einen festen Platz. Es ist sogar ein Pfeiler der christlichen Kultur. Demut ist einfach seine ältere Schwester, die wir in den Schoß der Familie holen müssen.
Yoga – Arbeit an uns selbst
Die indische Philosophie hat eine zweite wichtige Lektion für uns. Unserem christlich geprägten Weltbild liegt, vereinfacht gesprochen, die folgende Grundeinstellung zugrunde: „Wenn ich brav bin, gehe ich in den Himmel; wenn ich mich an die Regeln halte, muss ich an mir nicht viel arbeiten – Gott hat für mich die Arbeit bereits getan.
Die Essenz des Yogas ist eine ernsthafte Arbeit des Menschen an seiner Entwicklung.
Yoga sagt uns aber: „Höre auf, dich zu belügen. Du bist abhängig vom Verlangen deiner Sinnesorgane und von den Begehrlichkeiten deines Geistes – sie halten dich gefangen. Wenn du frei sein willst, löse dich davon. Das bedeutet viel Arbeit und du musst sie tun. Wenn du alles gegeben hast, wirklich alles, macht Gott den Rest für dich.“
Warum sollen wir an uns arbeiten? Warum sollen wir unsere Vergnügen und unsere Zuneigungen aufgeben? Weil uns unsere Sinnesbefriedigung und unsere Abhängigkeit von der Welt der Gegenstände und Annehmlichkeiten in eine Welt führen, in der wir nicht leben wollen: die Welt des ausufernden Konsums, der Seichtheit, des Eigennutzes. Weil wir ohne das Wachsen im Geist, im Herz, in der Seele nicht glücklich werden.
Was muss der Westen außerdem lernen?
Wir haben noch eine wichtige Lektion zu lernen. Swami Krishnananda, ein zeitgenössischer indischer Philosoph, hat die Essenz des Hinduismus so zusammengefasst: Die Natur hat einen Zweck. Im Westen sehen wir in ihr nur Materie. Wir begrenzen sogar das Leben und das Bewusstsein auf die Materie – eine weitreichende geistige Sturheit. Materie an sich kann gar keinen Zweck haben. Wir wollen hier nicht darüber streiten, ob das Leben eine Fähigkeit der Materie oder göttlichen Ursprungs ist. Aber auch die Materialisten unter uns müssen feststellen, dass uns unser materialistisches Dogma in Richtung Selbstzerstörung führt.
Die meisten der Weltbilder, die nicht aus dem westlichen hervorgehen, basieren darauf, dass die Natur vom Bewusstsein durchdrungen ist.
In Wirklichkeit hat die Schöpfung einen Zweck. Alles, was diesem Zweck dient, überlebt und alles, was ihm nicht oder nicht mehr dient, stirbt. Auf die Zivilisation bezogen bedeutet das, dass sie auf Dauer nur überlebt, wenn sie mit der Natur kompatibel ist. Auf die Kultur bezogen bedeutet das, dass sie nur eine Zukunft haben kann, wenn sie den Menschen dabei unterstützt, seinen Lebenszweck, das Ziel seiner Existenz zu erreichen.
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