Unser Leben ist das Resultat dessen, wie unsere Wirtschaft funktioniert. Wir arbeiten, um kaufen zu können. Wir leben für das Glück von morgen. Weil man nur heute glücklich sein kann, bleibt unser Glück eine Fata Morgana.
Glück ist nicht käuflich
Wir haben etwas sehr Wichtiges verlernt: die Kunst, im Hier und Jetzt zufrieden zu sein mit dem, was uns gegeben wurde. Wir haben dieses Leben, das uns unzählige Augenblicke schenkt, in denen wir Liebe und Schönheit verspüren können. Wir leben in einem Land, das uns Sicherheit, genug zum Essen und einen unbeschränkten Zugang zu unserer eigenen Kultur und zum geistigen Schatz der ganzen Menschheit geben. Wir haben jede Gelegenheit und alle Chancen, als Mensch zu wachsen und das Gute in der Welt ein bisschen zu vermehren. Das alles ist doch die Definition von Glück. Wir haben verlernt, glücklich zu sein. Als Ersatz dafür haben wir uns eingeredet und einreden lassen, dass wir Glück kaufen können. Was für ein Fehler!
Wir haben verlernt, glücklich zu sein.
Unsere perfekte Zivilisation
Peter Drucker sagte etwas sehr Wichtiges. Er sagte: „There is a difference between doing things right and doing the right thing.“, also: „Dinge richtig zu tun und die richtigen Dinge zu tun ist nicht dasselbe.“ Russell Ackoff (einer der Väter des westlichen systemischen Denkens) ergänzte dies: „The righter you do the wrong thing, the wronger you become.“, also: „Je besser du das Falsche tust, umso schlechter wirst du.“
Wir tun immer besser das Falsche.
Das größte Problem unserer westlichen Zivilisation ist, dass wir immer perfekter das Falsche tun. Alle unsere Schwierigkeiten sind eine Folge dieses einen Problems: die Zerstörung der Natur, die empfunden sinkende Lebensqualität, das Gefühl, dass wir als Gesellschaften nicht wirklich weiterwissen, dass wir als Einzelne uns nicht wirklich glücklich fühlen, die wachsende Lücke zwischen Arm und Reich, die in gesellschaftlichen Umwälzungen resultieren kann. Wir konsumieren und zerstören die Ressourcen dieser Welt, Ressourcen, die uns nicht gehören, teilen aber die dadurch entstandenen materiellen Werte kaum mit anderen – wir als Westen, aber auch wir als Unternehmer oder Vorstandsvorsitzende innerhalb des Westens. Alle diese Entwicklungen sind das Ergebnis unseres andauernden Bemühens, das Falsche immer besser zu tun.
Dem Mammon unterordnet
Wir haben unsere Kultur der Hoheit der Ökonomie unterordnet. Wir haben sie dem Marketing und den Medien freigegeben. Diese verfolgen ökonomische Ziele. Ihre Botschaften, ihre gesamte Kommunikation zielt darauf hin, den Umsatz ihrer Arbeitgeber zu erhöhen. Das Mittel zu diesem Zweck ist die Beeinflussung möglichst vieler Menschen. Weil der Gegenpol schwächer wird, werden sie damit immer erfolgreicher. Und was war der Gegenpol?
Die Kinder wuchsen früher in einem überschaubaren Umfeld der Familie und der Nachbarschaft auf – man hatte also genug Zeit, um sie zu erziehen, um ihnen Werte beizubringen. Außerdem war das Ziel der Bildung früher noch, die Werte der Kultur zu vermitteln. Die Kultur verfolgte, wenn überhaupt, nur sekundär ökonomische Ziele. Die Religion hatte früher einen wichtigen Einfluss auf die Gesellschaft und hatte Werte vermittelt, die in ihrem Kern altruistisch waren. Alles das haben wir dem Mammon geopfert. Wenn die grundlegenden Werte einer Kultur ihre Basis verlieren und nicht mehr von der Mehrheit der Menschen geteilt werden, zerbricht sie.
Wir haben unsere Kultur und unser Leben dem Mammon geopfert.
Diese Entwicklung hat den Wendepunkt wahrscheinlich bereits überschritten. Die Systemtheorie nennt ihn singulär, weil dort nach einer oft lang andauernden, quantitativen Veränderung im System plötzlich eine qualitative Veränderung stattfindet, die das System innerhalb kurzer Zeit grundsätzlich verändert.
Alles Neue fängt in unseren Köpfen an
Jetzt kommt der entscheidende Punkt, den wir unbedingt verstehen müssen, wenn wir unsere Zivilisation behalten wollen. Wir verhindern die Veränderung nicht, weil wir nicht handeln oder uns nicht bemühen. Wir versuchen ja das Beste, viele von uns. Es ändert aber nichts. Warum? Weil ein komplexes soziales System immer sein Verhalten reproduziert. Das ist ein Naturgesetz. Die einzige Möglichkeit, ein solches System von Grund auf zu verändern, ist, es zu zerstören und ein neues zu gestalten. In der Geschichte der Menschheit ist das oft genug passiert. Das Römische Reich ist zerfallen und die Nationalstaaten sind an seiner Stelle entstanden. Die mittelalterliche Gesellschaftsordnung ist zerfallen und der Kapitalismus ist entstanden.
Diese Veränderungen wurden von niemandem geplant: Die alten Systeme sind an ihre Grenzen gekommen und starben. Das wird mit unserer Zivilisation auch passieren. Nun haben wir zwei Möglichkeiten: Wir schauen zu oder wir zerstören sie rechtzeitig selbst in unseren Köpfen und gestalten sie neu. Das ist die einzige effektive und konstruktive Methode, komplexe Systeme in geordneter Art und Weise in die gewünschte Richtung grundsätzlich zu verändern.
Stimmung
Es findet eine negative Veränderung bei den Emotionen der Menschen statt. Die Stimmung ist von Unsicherheit, Angst und dem Gefühl, betrogen worden zu sein, gekennzeichnet. Die meisten von uns sehen die Ursachen dafür bei den Regierungen, in der Gesellschaft oder in der Wirtschaft, bei den anderen also. In Wirklichkeit liegen sie viel tiefer.
Die Änderungen in der Welt, in der wir leben, verunsichern uns nur deswegen so stark, weil wir den Sinn unseres Lebens in der Außenwelt suchen. Wenn die sich schnell verändert, zieht das unserem Selbstverständnis den Teppich unter den Füßen weg. Diese Änderung der Stimmung ist zwar schleichend (eine quantitative Veränderung im System), aber sie kann einen Wendepunkt erreichen, bei dem das System (also unsere westlichen Gesellschaften) eine negative qualitative Veränderung durchmacht. Das würde unsere Zivilisation sprunghaft schwächer machen, vielleicht sogar zerbrechen.
Es gibt noch etwas, worüber wir uns klar werden sollten. Unsere Probleme – vom Klimawandel bis zum Rechtsextremismus – sind nur ein Lackmuspapier dafür, dass unsere Zivilisation, unsere Kultur und unsere Gesellschaften nicht mehr richtig funktionieren. Diese Probleme zeigen uns etwas Wichtiges auf. Deswegen sind sie unsere Chance, wenn wir sie richtig nutzen.
Jedes Problem ist eine Chance und gerade die großen Probleme bieten die größten Chancen.
Alan P. Stern ist ein Systemdenker und praktischer Philosoph. Akademisch in naturwissenschaftlichen wie auch in praktisch-wirtschaftlichen Fächern ausgebildet, arbeitete er als Manager und Unternehmensberater.
Im Jahr 2019 erschien sein Buch „Redesigning Civilization; wie erschaffen wir die westliche Zivilisation neu?“
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