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Alan P. Stern

Starke Demokratie

Aktualisiert: 3. Dez.


Wir brauchen unsere Demokratie jetzt mehr denn je. Allerdings müssen wir sie ausbauen, weil sie in der heutigen Form nicht fähig ist, die Zukunft aktiv zu gestalten.


Freiwillige, die zusammen etwas aufbauen


Demokratie ist viel mehr, als zur Wahl zu gehen


Für den notwendigen Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft ist unsere Demokratie unabdingbar. Bevor wir die Demokratie für den Wandel nutzen können, müssen wir sie haben. Auf den Westen bezogen bedeutet das: Man muss sie bewahren. Bevor wir damit erfolgreich sein können, müssen wir uns über etwas klar werden: In ruhigen Zeiten reproduziert sich die Demokratie scheinbar von alleine. Dabei entwickelt sie eine gewisse Trägheit, einen Trott. Dass sie uns trotzdem recht gut dient und nicht selten ganz vernünftige Frauen und Männer ans Steuer befördert, bedeutet nicht, dass diese Fähigkeit in die Demokratie eingebaut ist.


Demokratie ist nicht selbstverständlich und nicht umsonst zu haben – sie muss immer wieder aufs Neue aufgebaut werden.

Der Grundgedanke der Demokratie ist, dass die Mehrheit richtig entscheiden wird. Die Mehrheit entscheidet selten richtig. Der Grund, warum diese Wahrheit verdeckt bleibt, ist, dass in der Praxis nicht die Mehrheit, sondern die 50 bis 80 Prozent der Bürger, die tatsächlich auch wählen, entscheiden. 60 Prozent von 80 Prozent sind 48 Prozent und man kann darüber streiten, ob die 60 Prozent richtig entschieden haben. Dazu kommt, dass sie eigentlich keine Entscheidungen treffen, sondern eine Partei aus dem vorhandenen Angebot auswählen. Die Programme der Parteien werden von einer sehr kleinen Minderheit der Bürger ausgedacht. Unter dem Strich ist es in der Gesellschaft immer eine aktive Minderheit, die über die Politik und den Staat entscheidet. Auch wenn man das Wahlrecht durch eine Wahlpflicht ersetzen würde, änderte das nichts, weil man niemanden dazu zwingen kann, eine Meinung über den richtigen Weg in die Zukunft zu haben.


Über das Ergebnis der Wahlen entscheiden in Wirklichkeit die nicht aktiven, die indifferenten und die ignoranten Bürger, indem sie nicht wählen gehen. Das ist in ruhigen Zeiten der Normalzustand. Sie können aber dazu motiviert werden, doch zu wählen, und dann wird es für die Demokratie gefährlich.


Demokratie wird stabil nur, wenn die Klugen aktiv werden, sich für das Gemeinwohl engagieren.

Wenn man Demokratie als Willen der Mehrheit definiert, verwechselt man Gleichheit mit Gleichberechtigung. Seit der Liberté, Égalité, Fraternité steckt in uns die Vorstellung, dass alle Menschen gleich sind. Sie sind aber nicht gleich; in Wahrheit sind sie extrem unterschiedlich. Sie haben aber gleiche Rechte und Pflichten und es gibt keine besseren und schlechteren Bürger. Das ist Demokratie. Sie bedeutet Gleichberechtigung, nicht Gleichheit. Wenn man das verwechselt, verklärt man die Realität. Man macht sich zum Teil blind und blinde Gesellschaften werden verletzlich. Wenn die Demokraten die Demokratie aufrechterhalten wollen, müssen sie also stets aktiv bleiben, aktiver als die Indifferenten und Ignoranten.


Unsere Demokratie ist verletzlich


Von der anderen Seite kommen, besonders in schwierigen Zeiten, wenn der demokratische Trott vielen als nicht mehr angemessen erscheint, die Demagogen. Sie adressieren gezielt die Ignoranten und mobilisieren sie, zur Wahlurne zu gehen. Sie erscheinen auf der politischen Bühne, wenn die Nichtwähler (das wäre die politisch korrekte Bezeichnung für denjenigen von uns, denen das Gemeinwohl egal oder das politische Angebot zu kompliziert ist) Angst bekommen. Diese Angst wird dadurch hervorgerufen, dass man ihnen (wirklich oder nur scheinbar) etwas entweder jetzt oder in der Zukunft wegnehmen möchte. Das Erste ist üblicherweise etwas Materielles, meistens einfach Geld. Das Zweite ist nur eine Vorstellung, eine Drohung, die die Demagogen dadurch konkret machen, dass sie irgendjemanden aussuchen, von dem die Bedrohung ausgehen soll: die Juden, die Ungläubigen, die Fremden usw.


Demagogen werden kommen, das ist sicher. Die Frage ist nur, sind wir als Gesellschaft auf sie vorbereitet?

Die Methoden der Demagogen


Die Demagogen aller Zeiten arbeiten nach derselben Methode. Zuerst schüren sie Angst, malen eine Bedrohung aus, die sie dann systematisch aufblasen. Danach präsentieren sie eine simple und angeblich schnell wirkende Lösung. Damit sprechen sie die rationale Ebene der simplen Gemüter an. Oft nehmen sie noch zwei weitere Elemente in ihre Taktik auf: Sie spielen die Saiten der Emotionen und des Egos in uns, sprechen also unseren Stolz, unsere Eifersucht, Eitelkeit, Gier an. Als zweites Element erzeugen sie Hass. Es ist eine Variante der primitivsten aller sozialen Taktiken: das gleichzeitige Vorzeigen der Peitsche und der Karotte. Sie wird von den Demagogen mit vielen Bildern verkleidet und emotional aufgebläht. Sie funktioniert immer.


Nachdem die Demagogen an die Macht gelangt sind, schaffen sie im Extremfall die Demokratie ab. Weil sie auf Dauer weder politisch noch ökonomisch erfolgreich sein können, nutzen sie die sich selbst verstärkende negative Schleife in uns, indem sie abwechselnd die Knöpfe der Angst und des Egos betätigen. Damit sichern sie sich genügend Rückhalt in der Gesellschaft. Eine Mehrheit brauchen sie nicht mehr, weil sie die Demokratie außer Kraft gesetzt haben.


Diese Methode ist sehr einfach – man muss nicht besonders schlau sein, um sie zu begreifen und anzuwenden. Viele durchschauen sie trotzdem nicht, weil die Demagogen ihre wirklichen Motive verschleiern und die entscheidenden Tatsachen verdrehen. Um sie durchzuschauen, besonders wenn es noch nicht zu spät ist, also vor der letzten demokratischen Wahl, erfordert Verständnis und Klugheit. Das sind aber die Eigenschaften der Minderheit in der Gesellschaft.



Was ist die Lösung? Langfristig lautet sie gute Bildung für alle und klare, gut durchdachte, also gut designte, Konzepte der Demokraten für die Zukunft.


Kurzfristig, wenn die Demokratie in Gefahr ist, lautet sie wiederum Peitsche und Karotte. Die differenzierter denkende Minderheit muss die Bedrohung durch die Demagogen klar und konkret machen und den Nichtwählern etwas Unmittelbares, Greifbares geben, auch wenn es Geld ist. Die Methode mag ähnlich sein, ihre Anwendung muss allerdings im Fall der Demokraten anders bewertet werden, wenn sie zwei Bedingungen erfüllt. Erstens muss das Ziel tatsächlich die Erhaltung der Demokratie sein. Zweitens dürfen die Demokraten nicht aus selbstsüchtigen Motiven handeln, sondern wirklich das Gemeinwohl im Sinne haben, also mit anderen Worten: mit Weisheit und mit dem Willen zu dienen vorgehen. Weil man Weisheit und Dienen nicht erst während eines Wahlkampfs aufbauen und lernen kann, muss man ihnen schon davor den Platz in den politischen Parteien einräumen. Weisheit und Dienen gehören zu den Voraussetzungen einer überlebensfähigen Demokratie.


Die Demokraten müssen wieder kämpfen lernen.

Aus der Liberté, Égalité, Fraternité resultierte mit der Zeit auch eine andere Vorstellung, die uns behindern kann: dass die Polarisierung der Bürger etwas Schlechtes sei und vermieden werden müsse. Wenn die Demagogen die Gesellschaft polarisiert haben, müssen die Demokraten den Mut aufbringen, es auch zu tun. Sie müssen wieder kämpfen lernen, sonst werden die Selbsterhaltungskräfte der Demokratie schwach.


Wir haben in den Jahrzehnten des materiellen Wohlstands angefangen, die Politik wie ein Spiel zu betrachten, das am Rande der Gesellschaft stattfindet. Sie bestimmt nichtsdestotrotz über die schiere Existenz unserer offenen Kultur und unserer freiheitlichen Rechte. Unsere Demokratie braucht eine starke, engagierte Gesellschaft, die auf einer breiten Basis verschiedener Communities, also Gemeinden, aufbaut. Diese Gemeinden müssen aktiver werden und mehr Verantwortung übernehmen, als das heute der Fall ist. Sie müssen sich in die Politik einmischen.


Für eine gut funktionierende Demokratie ist es außerdem unerlässlich, dass der Prozess, in dem Frauen und Männer an die Macht kommen, durch konsequente Chancengleichheit gekennzeichnet ist. Was sonst geschieht, können wir am Beispiel der USA studieren, wo man Geld braucht, wenn man gewählt werden will. In Ergebnis regiert dann das Geld. Das ist eine Beschneidung der Demokratie und muss zu Auswüchsen führen. Das müssen wir in Europa unbedingt verhindern. Die Demokratie darf nicht von Geld abhängen.


Es gibt nur eine einzige Chance für die Demokratie, und das sind wir.

Mehr über die Aktive Demokratie können Sie in dem Buch "Redesigning Civilization, Wie erschaffen wir die westliche Demokratie neu?" lesen.


Alan P. Stern ist ein Systemdenker und praktischer Philosoph. Akademisch in naturwissenschaftlichen wie auch in praktisch-wirtschaftlichen Fächern ausgebildet, arbeitete er als Manager und Unternehmensberater.

Im Jahr 2019 erschien sein Buch „Redesigning Civilization; wie erschaffen wir die westliche Zivilisation neu?“


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1 Kommentar

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1 Comment


Andreas Sternowski
Jul 23, 2021

Wir müssen sehr komplexe soziale Systeme verändern: politische Systeme, die Wirtschaft, das Rechtssystem, gesellschaftliche Systeme, die Bildung, den internationalen Handel usw. Machen wir uns nichts vor: Ohne sie alle umzugestalten, werden wir die Zerstörung unseres lebenden Planeten und der Menschheit nicht stoppen.


Diese Systeme haben bestimmtes Design, das auf Regeln basiert. Das alle Wichtigste ist, diese Regeln zu ändern.

Deswegen ist die wichtigste Aufgabe, die Systeme der Wirtschaft, der Politik und das Recht neu zu designen. Es gibt nur einen Weg, das zu erreichen: durch einen massiven Druck aus der Gesellschaft und durch direktes politisches Engagement der Menschen, die diese Umgestaltung verstehen und wollen.


Alles andere ist zwar gut und notwendig, wird uns aber nicht retten.

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