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Continentia

Lernender Staat

Aktualisiert: 12. Dez. 2023

Die Regierenden machen wahrscheinlich nicht mehr Fehler als wir. Nur ihre Fehler tun uns allen deutlich mehr weh. Zu sagen, dass irren menschlich ist, reicht hier nicht aus. In seinem Buch "Redesigning Civilization, Wie erschaffen wir die westliche Zivilisation neu?" entwickelt Alan P. Stern auch den Entwurf eines effektiven und lernenden Staates.


Der untere Text ist dem Abschnitt "Neues Design" entnommen worden.


Brandenburger Tor


Lernen in der Staatsführung - mit Lernsystem


Ein soziales System, das nicht effektiv lernt, muss mit der Zeit schwächeln. Es kann nicht gut genug auf die Veränderungen in seinem Umfeld reagieren. Es versucht sich zu bewegen, aber seine Glaubenssätze, seine Kultur wirken wie ein Anker. Ein Boot, das einen Anker mit sich schleppt, muss zurückbleiben. Wie aber kann man sich von diesem Anker trennen? Wie verändert man das Selbstverständnis in einem so komplexen System wie eine Zivilisation? Wie passt man ein Zivilisationsmodell an und das kontinuierlich? Durch systematisch betriebenes Lernen.


Das Lernen ist ein Prozess und muss als Resultat eine Veränderung im Verhalten bewirken – sonst wäre es bloß ein Sammeln und Ablegen von Informationen. Dies kann nur durch Interaktion mit dem Umfeld erfolgen, also durch Erfahrung. Wie kann ein komplexes soziales System dazulernen, obwohl zuerst nur die einzelnen Personen etwas erfahren, verstehen und lernen? Wie kann das Gelernte konsistent bleiben und damit eine gute Basis für das Handeln bieten?


Die Staatführung ist eine zu wichtige Aufgabe, um sie nach der Methode „Versuch und Irrtum“ zu lernen. Das könnte man aber auch systematisch tun – mit einem dedizierten Lernsystem.

Beim menschlichen Lernen sorgt das Gedächtnis für die Konsistenz. Es speichert das Gelernte, stellt es bereit, wenn es gebraucht wird, und ermöglicht damit das Weiterlernen. Soziale Systeme haben ein solches funktionelles Gedächtnis nicht. Über die Zeit speichern sie zwar ihre grundsätzlichen Erfahrungen in Werten und Überzeugungen, aber sie besitzen kein Gedächtnis, das die Erfahrungen, die die Menschen oder Institutionen machen, behält. Sie bleiben in den Köpfen der Beteiligten. Hat jemand anders später eine für die Gesellschaft wichtige Entscheidung zu treffen, wird er diese Erfahrung nicht automatisch benutzen, sondern sie wahrscheinlich neu machen müssen.


Der Mensch lernt, indem er entscheidet, etwas zu tun, die Resultate betrachtet und daraus Schlüsse zieht. Um das Lernen einer ganzen Zivilisation zu ermöglichen, muss man eine Möglichkeit dafür schaffen, auf ihrer Ebene Erfahrungen zu machen, daraus zu lernen und das Gelernte in einem „Makro-Gedächtnis“ zu behalten. Außerdem muss man das Lernen als einen Prozess gestalten. Deswegen bedarf das Lernen in einer Zivilisation eines Lernsystems, das dediziert designt werden muss. Das Ergebnis dieses Designs ist folgendes System:



Lernsystem, systematisches Lernen, lernender Staat
Lernsystem des Staates; Quelle: "Redesigning Civilization" von Alan P. Stern

Systematisches Lernen


Der Entscheidungsprozess ist ein klar definiertes Verfahren, das innerhalb des Designvorhabens des neuen Systems entwickelt und angenommen wird. Es enthält eine allgemeingültige Methode der Entscheidungsfindung und befolgt einheitliche Regeln. Diese Regeln bestimmen auch, wer eine bestimmte Entscheidung treffen soll oder wer in ein Entscheidungsgremium einbezogen werden muss. Dieses Gremium analysiert den Bereich, in dem der Entscheidungsgegenstand angesiedelt ist, und seinen Kontext: den internen (also innerhalb der Systemgrenzen des betroffenen Systems), und den externen. Bei dieser Betrachtung kann es auf die dedizierten unterstützenden und beratenden Ressourcen zugreifen, die speziell zu diesem Zweck bereitgehalten werden. Die Betrachtung wird unter Zuhilfenahme einer geeigneten Struktur und Infrastruktur durchgeführt, um eine effektive Entscheidungsunterstützung zu ermöglichen.


Ein Entscheidungssystem wird erst durch die Integration der Gedächtnisfunktion zum Lernsystem. Alle Entscheidungen, ihre Ziele und die ihnen zugrunde liegenden Informationen, Annahmen und Analysen müssen im Entscheidungsgedächtnis gespeichert werden. Auch alle relevanten Informationen über den Prozess der Entscheidungsfindung gehören dorthin, sodass die Entscheidung jederzeit und ohne Schwierigkeiten nachvollzogen werden kann. Dieses Entscheidungsgedächtnis muss zentral und für alle zugänglich sein. Jede Entscheidung, etwas zu tun (es gibt natürlich auch Entscheidungen, nichts zu tun, die genauso dokumentiert und gespeichert werden müssen), löst ihre Umsetzung aus. Deswegen muss jemand, der außerhalb des Implementierungsteams bleibt, die Monitoringfunktion wahrnehmen. Dieses Kontrollgremium darf weder dem Entscheidungsgremium angehören noch die Entscheidungsunterstützung geleistet haben, um eine maximale Unvoreingenommenheit zu garantieren. Stellt man eine Abweichung der Resultate von den Zielen fest oder beobachtet man eine wesentliche Veränderung im Kontext der Entscheidung, muss die neu entstandene Situation analysiert werden. Mit der Analyse können dieselben Spezialisten (und Generalisten) beauftragt werden, die vorher die Entscheidungsfindung unterstützt haben. Die Ergebnisse werden an das Entscheidungsgremium geleitet, das seine Entscheidung korrigieren und eventuell die Notwendigkeit für neue Entscheidungen feststellen kann.


Bei der notwendigen Umgestaltung unserer Zivilisation können wir uns keine Fehler leisten. Wir müssen anfangen, systematisch aus unseren Fehlern zu lernen – nicht als einzelne Regierungsmitglieder, sondern als Staat.

Um erfolgreich zu werden, muss diese Struktur als ein System designt werden – ein Teilsystem des Staates. Die innerhalb dieses Systems ablaufenden Prozesse und die Regeln, nach denen es funktioniert, müssen klar, transparent und allgemeingültig sein. Das Ziel ist, dass jedes Entscheidungsgremium für seine Entscheidungen die gesamte bis dato im System gesammelte Erfahrung zur Verfügung hat. All diese Daten sollen auch für alle Bürger zugänglich sein. Auf diese Weise wird die gesamte Gesellschaft imstande sein, aus jeder Erfahrung zu lernen und jede neue Entscheidung auf Basis des bereits Gelernten zu treffen. Damit erreicht man außerdem eine maximale Transparenz und Beteiligung aller.


Ein so lernender Staat, eine so lernende Zivilisation wird nicht nur schlauer, sondern auch wendiger, stets besser an den sich verändernden Kontext angepasst und dadurch robuster. Die klaren Regeln der Entscheidungsfindung, die dadurch nachvollziehbar und transparent für alle bleibt, verändern auch grundlegend die Kultur und Gesellschaft. Nichts ist giftiger für das Engagement der Menschen als unverständliche Entscheidungen, die über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. Nichts fördert das Übernehmen der Verantwortung für die gemeinsame Sache mehr als die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen und die Klarheit der Regeln, nach denen sie gefällt wurden, verbunden mit der Konsequenz in ihrer Anwendung.


Mehre Informationen zum Buch "Redesigning Civilization, Wie erschaffen wir die westliche Zivilisation neu?" finden Sie hier.


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