Sind nun Menschen von Natur aus gut oder böse? Diese Welt ist eine der Dualität – alles in ihr kommt im Doppelpack. Das Ergebnis unseres Handelns hat immer eine Kehrseite. Wir alle wollen Gutes und erreichen trotzdem oft etwas Schlechtes. Warum? Wir lassen uns von Buddha zu Mitgefühl und Güte inspirieren und von Hitler zum Bösen anstiften. Warum? Waren die Menschen in Deutschland in der 30er-Jahren schlechter als wir heute? Sicher nicht. Warum haben sie dem Bösen applaudiert und vor der Güte die Augen geschlossen?
Menschen sind emotional. Wenn Gefühle in uns auf die Vernunft oder das Gewissen stoßen, gewinnen meistens die Gefühle. Auch Tiere haben Emotionen und Gefühle. Sie haben Angst und fühlen Freude, sie können stolz sein oder sich liebevoll um ihre Kinder kümmern. Wenn sich jetzt ein frisch verliebter Teenager über den Vergleich empört, dann zeigt das nur, wie sehr unsere Gefühle die Objektivität unseres Denkens beeinträchtigen.
Moral ihrerseits entstammt dem Gewissen und erblüht auf dem Boden der Vernunft. Dies sind die höheren Errungenschaften unserer Gattung, die uns von unserer animalischen Erbschaft absetzen. Unsere Erbschaft bleibt aber da, immer bereit, als Welle aufzusteigen und die sonnenerhellte Insel unserer Vernunft zu überfluten.
Du bist, was du zulässt
Der Mensch ist also ein Instrument mit verschiedenen Saiten: Manche klingen hässlich, andere schön. Die Melodie unseres Lebens hängt davon ab, welche Saiten wir spielen.
Wir sind aber auch soziale Wesen und damit offen für Einflüsse von außen. Wenn wir uns für erhabene Gedanken und edle Gefühle anderer öffnen, steigert das den Wohlklang unserer Melodie. Wir können uns allerdings auch für fehlgeleitete Ideen und niedere Emotionen und Gefühle öffnen. Dann wird die Melodie hässlich und der Klang schmerzlich.
Das Instrument ist also, wie es ist. Der Unterschied liegt in dem Spieler. Buddha berührte die schönsten Saiten in seinen Zeitgenossen, Hitler die hässlichsten.
Die Gefahr der Unsicherheit
Nun hält normalerweise die Mehrheit von uns die Tür für die äußeren Einflüsse nur einen Spaltbreit offen. Das ändert sich, wenn wir unsicher werden. In Zeiten, wenn die Welt uns mit unbekannten Gefahren konfrontiert, unsere lang gehegten Ansichten erschüttert, wird der innere Spieler unsicher. Er wird empfänglich für Einflüsse von außen.
Wir leben in Zeiten, die die Demagogen begünstigen.
Wir leben heute in solchen Zeiten und die Gefahren und der Ansturm der Ideen, der Aufschrei der Welt werden sich sicher noch vervielfachen. Leider tragen wir heutzutage diesen Aufschrei in unseren Hosentaschen. Das begünstigt die Demagogen und macht uns für die lärmenden und vereinfachten Melodien von außen empfänglich.
Deswegen wächst die Gefahr, dass uns ein neuer Demagoge zum Bösen anstiftet. Wir müssen den Mechanismus der Verführung durch Emotionen und Parolen zum Thema machen. Das wird aber auf Dauer wahrscheinlich nicht reichen – die Angst, die Emotionen sind mächtiger als die Vernunft. Wir brauchen dringend neue Buddhas!
Alan P. Stern ist ein Systemdenker und praktischer Philosoph. Akademisch in naturwissenschaftlichen wie auch in praktisch-wirtschaftlichen Fächern ausgebildet, arbeitete er als Manager und Unternehmensberater.
Im Jahr 2019 erschien sein Buch „Redesigning Civilization; wie erschaffen wir die westliche Zivilisation neu?“
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