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Andreas Sternowski

Den richtigen Traum wählen – Advaita Vedanta, Yoga und die Zukunft der Zivilisation

Aktualisiert: 12. Okt.


Wir müssen die Grundlagen unserer westlichen Zivilisation neu denken und dabei den ganzen Menschen betrachten, auch seine spirituelle Dimension. Was uns dabei die alte indische Spiritualität, die Vedanta-Philosophie und der Yoga geben können, wird entscheidend für unser Überleben – als Zivilisation auf einem lebenden Planeten. Nicht weniger als das.




sitzend auf dem Gipfel

Dieser Text basiert auf dem Vortrag, den der Autor am 8. August 2024 während des ersten „Europäischen Vedanta-Gipfels“ in Gretz-Armainvilliers hielt, und wurde aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Der Titel des Vortrags lautete: „Advaita Vedanta und die Zukunft der Zivilisation“. Der Gipfel wurde vom Centre Védantique Ramakrishna organisiert.


Advaita Vedanta und die Zukunft der westlichen Zivilisation


Ich habe eine große Sorge, und das ist die Zukunft dieses wunderbaren Planeten. Es zerreißt mir das Herz zu sehen, wie die letzten Gebiete der Erde der Natur gestohlen werden. Es schmerzt mich zu sehen, wie die wertvollsten und schönsten Errungenschaften der westlichen Kultur vom Kommerz übernommen oder verflacht werden. Wir zerstören den Planeten und unsere Kultur, um den Reichtum einiger weniger zu vermehren. Und warum tun wir das?


Wir zerstören die Natur und unsere Kultur, um den Reichtum von Milliardären zu mehren. Warum?

Darüber habe ich viele Jahre lang nachgedacht. Das Erste, was ich verstanden habe, war, dass das, was wir glauben, was wir zu erreichen versuchen, dass unsere Wünsche (kurz: unser Denken und Wollen) unser Handeln leiten. Und auf der Ebene der Gesellschaft: Unser Weltbild und unser Selbstverständnis als Menschen, die Ziele, die wir uns als Individuen und als Gesellschaft setzen, lenken (ohne dass wir uns dessen bewusst sind) die Entwicklung unserer Zivilisation.

 

Was ist unser modernes Weltbild? Hier ist es: Die Welt besteht aus Materie und alles, was über die Materie hinausgeht, ist ein Irrglaube. Der Mensch ist ein denkender und begehrender Körper. Sein Ziel ist ein bequemes und unterhaltsames Leben. Vielleicht nicht Sie und nicht ich, aber auf die Gesellschaft trifft das sicherlich zu.

 

Welche Merkmale der westlichen Zivilisation haben aus dieser Weltanschauung resultiert? Wenn wir eine objektive Antwort auf diese Frage erhalten wollen, müssen wir Menschen außerhalb der westlichen Kultur befragen. Was sagen sie? Materialismus, Messung aller Werte in Geld, Individualismus, Egoismus, Besserwisserei, Mangel an Respekt. Was viele von ihnen auch sagen, ist, dass uns nichts heilig ist. Es ist genau das, was zur Zerstörung der Natur, zur Verschwendung, zur maßlosen Gier und zur extremen wirtschaftlichen Ungleichheit geführt hat.


Unsere Weltanschauung hat den Weg bestimmt, den wir als Gesellschaft und Zivilisation eingeschlagen haben.

Die Fehler der westlichen Zivilisation: Materialismus

 

Unsere Werte sind nicht selbstverständlich, sie sind kein Naturgesetz. Es ist offensichtlich, dass unsere moderne westliche Weltanschauung eingebaute Fehler enthält. Der beste Weg, die Qualität einer Sache zu bestimmen, ist, sich die Ergebnisse anzusehen. Und wenn die Entwicklung der Wirtschaft, der modernen westlichen Zivilisation, zu großen Fehlern geführt hat, dann muss auch die Weltanschauung, die dieser Entwicklung zugrunde liegt, Mängel aufweisen, nicht wahr?

 

Was sind diese Mängel? Der Materialismus ist einer von ihnen. Unsere prompte Antwort darauf lautet gewöhnlich: Der Materialismus ist einfach das Ergebnis der Entwicklung der Naturwissenschaften. Aber musste sich die Wissenschaft in Opposition zur Religion entwickeln? Und war diese Opposition der Wissenschaft geschuldet oder der Religion? Wäre diese Entwicklung mit einer Religion, wie sie Swami Vivekananda definiert, nicht anders verlaufen?

 

Die Renaissance war eine natürliche und notwendige Reaktion auf die Religion, wie sie sich im christlichen Europa entwickelt hatte. In Indien hingegen war der Kern der Religion spirituell und praktisch. Sie war (und abseits des religiösen Fanatismus und des modernen Nationalismus, der die Religion für sich vereinnahmt, weiterhin ist) nicht etwas, an das man (blind) glaubt. Sie hat ein anderes Ziel: den Menschen auf ganz praktische Weise in ihrer menschlichen Entwicklung zu helfen. Sie verlangt nicht, dass wir unseren gesunden Menschenverstand ausschalten. Im Gegenteil, sie ermutigt uns, unseren Verstand zu schärfen. Das Ideal der indischen Religion ist nicht eine besondere, auserwählte Person oder Gestalt, die wir verehren sollen, sondern ein erleuchteter Mensch – jeder Mensch. Ihr Ziel ist nicht ein perfekter Himmel, sondern ein perfekter Mensch, hier und jetzt.

 

Mit dem Verständnis von Religion würden sich die Künste und Wissenschaften nicht gegen sie wenden. Im Gegenteil: Eine solche Religion wäre ihr Verbündeter. Und Advaita Vedanta, der Gipfel der indischen Philosophie, steht bis heute im Einklang mit allen Erkenntnissen der Naturwissenschaften, auch wenn er Spiritualität geradezu verkörpert. In Europa hat sich die Religion in eine Sackgasse manövriert, aus der sie in ihrer heutigen Form nicht mehr herauskommen wird. In der Gegenwart spielt sie beim Nachdenken über die Zukunft der Zivilisation keine Rolle. Das verstärkt zusätzlich unsere spirituelle Blindheit. Diese spirituelle Blindheit hat zu Folge, dass wir bei unserem Nachdenken nur die Hälfte des Menschen betrachten. Das ist besonders schmerzlich, da wir vor der größten Herausforderung in der Geschichte der menschlichen Zivilisation stehen.


Die Fehler der westlichen Zivilisation: Individualismus


Das zweite grundlegende Merkmal unserer Kultur ist der Individualismus, und meiner Meinung nach ist dies ein Makel. Das Individuum steht an der Spitze unserer Pyramide der Wichtigkeit und der Werte. Die Doktrin des Kapitalismus basiert darauf, ebenso wie die westliche Kultur. Auch das Recht und die sozialen Institutionen gehen vom Individuum aus, nicht von der Gemeinschaft. Wäre die Entwicklung der Gesellschaft und der Wirtschaft nicht ganz anders verlaufen, wenn wir die Interessen der Gemeinschaft an die Spitze der Wichtigkeits- und Wertepyramide gestellt hätten?

 

Aus dem Individualismus erwächst die rechtliche und gesellschaftliche Billigung, die Welt und andere zum persönlichen Vorteil zu nutzen. Wäre diese Ausbeutung mit der Weltsicht des Advaita Vedanta vereinbar, in der jeder und alles im Grunde eins ist und dieses eine göttlich ist?


Materialismus und Individualismus haben die Entwicklung unserer modernen Zivilisation bestimmt. Wenn wir unsere Welt verändern wollen, müssen wir sie beide überwinden.

Welche Impulse geben uns die vedantische Weltanschauung und die indische Kultur dazu? Wie eine gute Gemeinschaft aussieht, kann man am besten von den indigenen Völkern oder von einer Dorfgemeinschaft im traditionellen Indien lernen. Sie wurde dadurch gestützt, dass Menschen einander halfen und Entscheidungen, die mehrere oder die Gemeinschaft selbst betrafen, auf der Grundlage des Wohls der Gemeinschaft und nicht des Eigeninteresses trafen. Außerdem hielten sie sich an klare Regeln, die die Willkür Einzelner minderten und das friedliche Zusammenleben förderten. Die Einhaltung dieser Regeln wurde nicht durch eine unpersönliche Institution durchgesetzt, sondern durch die Gemeinschaft, die dabei ihr moralisches Grundgefühl und den gesunden Menschenverstand benutzte. Beides resultierte aus der Grundhaltung der indischen Kultur. Das zeigt uns, dass sehr unterschiedliche Menschen nebeneinander in einer Gemeinschaft leben und sich gegenseitig unterstützen und bereichern können. Außerdem zeigt es uns, dass funktionierende Gemeinschaften sich besser und gerechter selbst verwalten können, als wir das heute mit unserem Staatsapparat tun.

 

Die Voraussetzung dafür ist, sich nicht dem Egoismus und der Gier hinzugeben. Dies ist nur möglich, wenn die Menschen in irgendeiner Form dem Ideal des Verzichts folgen: des Verzichts auf die Eigensucht und auf alles Überflüssige und Schädliche. In Indien war dieser Verzicht die natürliche Grundeinstellung der Menschen zu ihrem Leben, weil er ein wichtiger Teil des Lebensideals war. Die Erlangung des Göttlichen, die Entwicklung des Individuums zur Vollkommenheit konnte nur durch Verzicht auf Gier und Egoismus erreicht werden.

 

Überträgt man dies auf eine moderne Gesellschaft, so fällt natürlich das Kastensystem weg und ändern sich viele der Strukturen und Entscheidungsprozesse des alten Indiens, nicht aber das Ideal. Der einfachste Weg zu einem besseren Staat und einer lebenswerten Gesellschaft ist daher die Integration des vedantischen Lebensideals in unsere Kultur.


Verzicht ist ein Grundstein der Gemeinschaft und der Kultur. Im Rausch unseres modernen Konsums haben wir den Verzicht aufgekündigt. Die Gemeinschaft und die Kultur folgen.

Eine interessante Frage ist, inwieweit der Individualismus und unsere Zivilisation im Allgemeinen von der Tatsache geprägt sind, dass wir im Westen davon ausgehen, dass das menschliche Leben ein einmaliges Ereignis ist. Aus diesem Glauben folgt fast zwangsläufig, dass die Ziele des Lebens Geld, Komfort und Spaß sind, nicht wahr? Lassen Sie uns die Frage stellen: Wie würden sich unsere Kultur und Zivilisation verändern, wenn wir im Westen an die Reinkarnation glauben würden?

 

Die Reinkarnation, wie sie in Indien verstanden wurde, war viel mehr als die Lehre von der Wiedergeburt des Geistes in einem neuen Körper. Sie war die Folge einer grundlegenderen Lehre vom Karma: Der Mensch hat einen freien Willen, gleichzeitig trägt er jedoch alle Konsequenzen seiner Entscheidungen, Gedanken, Wünsche und Taten. Diese müssen durchlebt und durchlitten werden, und der Kreislauf der Reinkarnation kann erst dann zum Stillstand kommen, wenn das Individuum kein „offenes“ Karma mehr hat. Dies impliziert automatisch das Postulat und die Anstrengung eines jeden Menschen, erstens kein schlechtes Karma durch schlechte oder egoistische Taten anzuhäufen und zweitens keine überflüssigen Wünsche oder willkürlichen, unguten Gedanken zu hegen.


In einer Welt, in der die Menschen mit den Ergebnissen ihrer Entscheidungen und Handlungen leben müssen, wachsen Selbstverantwortung und Moral ganz natürlich.

Die so verstandene Überzeugung von der Wiedergeburt oder auch nur das Eingeständnis ihrer Möglichkeit in der westlichen Kultur würde daher schon für sich genommen eine grundlegende Veränderung unserer Gesellschaft und damit unserer Zivilisation bewirken. Allein aus diesem Grund lohnt sich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der indischen spirituellen Tradition und insbesondere mit Vedanta und Yoga. Die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht, denn das wahre Verständnis von Yoga als Yoga Sadhana wird sich vermutlich ohnehin verbreiten und damit auch das Verständnis davon, was menschliche Vollkommenheit und Erleuchtung ist. Für die erleuchteten Yogis ist Karma keine Theorie, sondern Erinnerung und ein Objekt der Erfahrung. Diese Tatsache wird dem skeptischen westlichen Geist helfen, die Karma-Lehre zu akzeptieren.


Materialismus, Individualismus und das Verstehen von Komfort und Annehmlichkeiten als Ziel des menschlichen Lebens führten dazu, jeden und alles zum eigenen Vorteil zu nutzen, was wir Ökonomie nennen. 

 

Der Kern unserer Zivilisation ist die Wirtschaft, die zum Selbstzweck geworden ist – eine logische Konsequenz der Lebensziele der Menschen. Und das Ziel der Wirtschaft ist es, mehr zu produzieren und zu verkaufen, koste es, was es wolle, ein Jahr nach dem anderen. Diesem Wachstumsimperativ wird alles untergeordnet. Es ist die erste Priorität unserer Regierungen. Dieses Verständnis vom Zweck der Wirtschaft, verstärkt durch die unhinterfragte Übergewichtung des Finanzkapitals und der Wirtschaft in den Entscheidungen des Staates, führte zur Zerstörung der Natur, zur Kommerzialisierung des Lebens und zur Verflachung der Kultur. Die logische Schlussfolgerung ist, dass wir diese zerstörerischen Entwicklungen nur umkehren können, wenn wir unser Wirtschaftssystem ändern. Und meine These ist einmal mehr, dass dies ein grundsätzliches Umdenken, eine Korrektur unseres Weltbildes und unserer Überzeugungen erfordert.


Warum dient uns unsere Zivilisation nicht mehr gut?

 

Warum wird die Natur zerstört, warum erwärmt sich die Erde, warum nehmen die Spannungen in der Gesellschaft zu, warum werden Kinder immer gewalttätiger und wachsen mit der Haltung des Habenwollens auf? Warum all diese Probleme?

 

Meiner Meinung nach sind sie das Ergebnis der Entwicklung von Wirtschaft und Technologie in den letzten 250 Jahren. Die anderen Denker würden wahrscheinlich zustimmen. An diesem Punkt halten die meisten von ihnen jedoch an, weil sie die moderne Entwicklung der Wirtschaft (begleitet von der Entwicklung der Technologie) als eine Art Naturgesetz betrachten. Sie fragen außerdem selten, ob diese Entwicklung dem Menschen dient oder nicht. Ich denke, dass wir mit unseren Überlegungen weiter gehen müssen.

 

Wie hat sich unsere Wirtschaft entwickelt? Zunächst einmal betrachtete sie die Ressourcen der Erde und der Natur als frei verfügbar, weil sie nach unserem Verständnis niemandem gehörten und daher einfach genommen werden konnten. Lebewesen wurden Dingen gleich. Auch Menschen wurden zur Ressource: nicht nur Sklaven, sondern auch Arbeiter. Die Moral wurde aus der Wirtschaft ausgeschlossen. Schlimmer noch: Manipulation wurde gefördert – als Marketing. Alles wurde einem einzigen Ziel unterworfen: der Steigerung des Profits.


Das Resultat heute ist ein System, in dem Menschen lebenslang arbeiten, um das Finanzkapital anderer zu vermehren. Als Gegenleistung macht das System ihr Leben zunehmend müheloser und unterhaltsamer. Es ist also ein Tausch der Systemkonformität gegen Bequemlichkeit und angenehmen Zeitvertreib. Der ideale Bürger dieses Systems hilft wirtschaftliche Werte herzustellen, die zum großen Teil unnötig sind und die ihm auf lange Sicht schaden: seinem Körper, seinem Geist. Der ideale Bürger dieses Systems kauft diese Werte auch brav. Was er kaufen soll, sagt ihm die Werbung und heute zunehmend auch das auf Bildern und Software basierende virtuelle Lebensumfeld. Seinem Wunsch nach Bequemlichkeit und Unterhaltung folgend, verlegt er sein Leben immer mehr in dieses virtuelle Umfeld, wo seine Wünsche und Bedürfnisse vom System einfacher gesteuert werden können. Das Output dieses Systems ist Reichtum der Investoren, Zerstörung des Ökosystems der Erde, Seichtheit der Kultur und Grobheit des gesellschaftlichen Umgangs – eine verhängnisvolle Abwärtsspirale der gegenwärtigen Zivilisation.


Wir gleiten ab in eine virtuelle Welt, wo unsere Konformität mit dem System endgültig zementiert wird. Das zementiert auch seinen Output: wachsenden Reichtum der Investoren, Zerstörung des Ökosystems, Seichtheit der Kultur und Grobheit des gesellschaftlichen Umgangs.

 

Nun frage ich Sie: Wäre diese Entwicklung mit dem Weltbild der indigenen Völker möglich? Wäre sie mit dem Menschenbild des Jesus von Nazareth vereinbar? Würde sie sich durchsetzen, wenn die Menschen die Lebensziele der vedischen Kultur verfolgt hätten?


Moderne Sklaven und ihr Lohn

 

Das Ziel der Wirtschaft ist ständiges Wachstum, denn dieses Wachstum ist notwendig, um den Reichtum derjenigen zu vergrößern, die investieren. Aber warum stellen wir uns alle freiwillig in den Dienst dieses Systems? Warum ordnen wir unser Leben der Vermehrung des Kapitals der anderen unter?

 

Auch darüber habe ich lange nachgedacht. Wissen Sie, was der eigentliche Grund ist? Der Grund ist, dass niemand etwas abgeben will, niemand will auf etwas verzichten, auch wenn er es eigentlich nicht braucht, und jeder will morgen mehr haben als heute, auch wenn er schon zu viel hat. Man kann also sagen, dass der Grund die Gier ist. Mit anderen Worten: Nicht nur Investoren sind gierig, wir alle sind gierig – in dem Sinne, dass wir immer mehr materielle Dinge wollen. Der andere Grund ist der Wunsch nach Bequemlichkeit und Mühelosigkeit. Beides wiederum ist das Ergebnis unseres Selbstverständnisses als Menschen, das Ergebnis der Ziele, die wir uns im Leben setzen. Die Schlussfolgerung? Nur wenn wir unser Selbstbild und unsere Wünsche überdenken, wird die Wirtschaft aufhören, den Planeten zu zerstören.


Die treibende Kraft hinter unserer Zivilisation ist die Gier. Ihr Wegbereiter war der Egoismus, der von der westlichen Kultur nicht wirkungsvoll gezähmt wurde.

Moderne Sklaven und ihre Wahl


Wenn Sie eine beliebige politische Entwicklung in der heutigen Welt verstehen wollen, schauen Sie auf das Geld, das dabei geschoben und vermehrt wird (oder vermehrt werden will). Wenn Sie jedoch verstehen wollen, wie diese Entwicklung möglich wird, schauen Sie darauf, was die Menschen in den betroffenen Gesellschaften als für sich vorteilhaft betrachten und was sie glauben.

 

Das ist die unangenehme Wahrheit über uns. Wir selbst machen die Zerstörung, die Ausbeutung, die Kriege möglich, und zwar durch unsere Selbstsucht, Gier, Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit. Wenn wir auf die Geschichte zurückblicken, besonders vor dem Kapitalismus und der Globalisierung, können wir über die Beherrschten sagen: Sie wussten es nicht besser und hatten keinen Einfluss. Heute gilt das nicht mehr. Heute können alle alles wissen, wenn sie es nur wollen, und jeder kann ein wenig Einfluss nehmen, wenn er so entscheidet. Wenn heute im Westen die Mächtigen etwas tun, sind wir es, die es zugelassen haben. Der aufsummierte Egoismus der Wähler wird zum Zynismus der Machthaber und mündet in der Zerstörung des Planeten.


Und warum tun wir das? Weil uns dieses System passt. Es hilft auch uns, unsere eigenen Ziele zu erreichen. Die Ziele der Mächtigen und der Reichen werden sich nicht ändern – damit auch das System nicht. Die einzige Variable in dieser Gleichung, die geändert werden kann, sind unsere Ziele und Prioritäten.


Ist ein grundlegender Wandel wirklich notwendig?

 

Die wichtigste Frage überhaupt ist: Haben wir als Zivilisation wirklich ein Problem? Wir haben bereits über die Fehler in unserem Denken und Handeln und darüber, was sie bewirken, gesprochen. Aber haben wir wirklich ein Problem in dem Sinne, wie es die Astronauten in Apollo 13 hatten, als sie sagten: „Houston, wir haben ein Problem.“ Ist das wirklich ein Problem, das größer ist als alles andere? Ist unser Überleben in Gefahr? Wäre es gerechtfertigt zu sagen: „Thakur, wir haben ein Problem!“?

 

Die meisten Leute sagen: Nein. Und warum? Nun, die Politiker sagen uns: Wir tun alles Notwendige. Die Wirtschaft sagt uns: Wir entwickeln bessere Produkte. Die Wissenschaft entwickelt neue Technologien. Die Vermögensverwalter stellen Billionen von Dollar zur Verfügung. Wenn so viel getan wird, können wir uns doch zurücklehnen und abwarten, oder?

 

Nein, können wir nicht. Der Grund dafür ist, dass all diese Probleme einfach das Ergebnis des derzeitigen Systems der Zivilisation sind. Der Output eines jeden komplexen sozialen Systems kann nur verändert werden, wenn das System umstrukturiert wird und seine Regeln geändert werden. Dies kann nicht durch individuelle Korrekturen erreicht werden, weder durch politische noch organisatorische oder technologische. Und eine grundlegende Veränderung ist nur möglich, wenn das System beginnt, andere Ziele zu verfolgen. Die Ziele für die Wirtschaft und, allgemeiner, für die Zivilisation ergeben sich aus den Überzeugungen und Zielen der Menschen und der Gesellschaft. Das ist der Grund, warum ein anderes System, warum ein grundlegender Wandel in der Wirtschaft und den weltweiten Machtstrukturen, mit unserem derzeitigen Weltbild nicht möglich ist.


Eine grundlegende Veränderung des Wirtschaftssystems ist nur möglich, wenn es beginnt, andere Ziele zu verfolgen. Deshalb wird sie mit unserem derzeitigen Weltbild nicht möglich sein. 

 

Weder die Wirtschaft noch die Politik wollen das bestehende System grundlegend ändern. Und Investoren und Vermögensverwalter erst recht nicht. Und sie verbreiten deswegen das Gefühl, dass wir, die Konsumenten, so weitermachen sollen. Aus diesem Grund wird die Natur nicht erhalten bleiben, egal was sie sagen oder tun. Fairness und Frieden in der Gesellschaft lassen sich auch nicht innerhalb des bestehenden Systems erreichen. Dazu müssten wir das System umgestalten. Und das ist nur möglich, wenn die Menschen ihre Denkweise ändern. Ein verändertes Welt- und Menschenbild, ein Überdenken unseres Verständnisses davon, was ein erfülltes menschliches Leben ist, sind die Voraussetzungen für eine nachhaltige und harmonische Zivilisation.


Können wir die Entwicklung unserer Zivilisation beeinflussen?

 

Dazu müssen wir die Art und Weise ändern, wie die Menschen denken und wie sie sich die Welt wünschen. Politiker verändern nichts. Sie sagen nur, was ihre Wähler glauben, und tun, was die Investoren erwarten. Man kann die Frage also auch so formulieren: Können wir die Überzeugungen der Menschen, ihre Weltsicht und ihre Wünsche beeinflussen?

 

Nun, das ist in der Geschichte der westlichen Zivilisation schon einige Male geschehen. Neue Ideen, neue Vorbilder, neue Möglichkeiten sind entstanden, und die Menschen haben ihre Ziele geändert. Warum sollten wir also nicht in der Lage sein, neue Ideen, neue Rollenmodelle zu propagieren und für neue Möglichkeiten zu werben?


Wie soll die zukünftige Zivilisation sein?

 

Wir als Zivilisation haben uns die falschen Ziele gesetzt. Wir wollen immer mehr haben, wir wollen immer komfortabler leben, wir wollen uns immer extravaganter unterhalten lassen. Wir versuchen, alles loszuwerden, was Anstrengung bedeutet. Um dies zu erreichen, haben wir alles Heilige beseitigt, das uns von diesem Ziel ablenken könnte. Und wir haben unser Leben an diejenigen verkauft, die uns diesen Komfort und Spaß versprechen.


Wir werden andere Ziele und neue Ideale brauchen, um unsere Zivilisation neu zu gestalten. 

Wenn wir als Gesellschaft diese Ziele weiter verfolgen, werden wir die Natur völlig zerstören, die Kultur weiter verflachen und die Demokratie verlieren. Wir brauchen also dringend neue Ziele, ein neues Verständnis von uns als Menschen, neue Werte und Ideale. Diese neuen Ziele und Ideale müssen das genaue Gegenteil von Konsumismus, Gier, Anstrengungsvermeidung und Oberflächlichkeit sein.

 

Natürlich können Sie sagen, dass wir im Westen durchaus Werte haben, auf denen eine bessere Zivilisation aufgebaut werden könnte. Das ist wahr, und bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin stolz auf unsere Kultur, unsere Kunst, unsere Wissenschaft ... Und ich möchte sie sicher nicht austauschen! Aber die Realität erzählt uns eine andere Geschichte: Etwas anderes bestimmt die Welt, in der wir leben, die Wirtschaft und die Gesellschaft, unsere politischen Entscheidungen, die Erziehung und Bildung unserer Kinder und so weiter. Unsere Werte haben offensichtlich dem Druck der Zeit und des Kapitalismus nicht standgehalten. Unsere Kultur bedarf einer Überholung.


Natürlich gibt es auch genügend westliche Werte, die eine zivilisatorische Wende möglich machen würden. Aber sie haben sich nicht als überzeugend und kraftvoll genug erwiesen, um die Gier der Menschen zu bändigen und ihre Bequemlichkeit zu überwinden. 

Und welches Ideal sollte die zukünftige Zivilisation haben? In unserer heutigen Zivilisation ist es das Individuum und seine Freiheit, zu tun und zu haben, was es will. Ich denke, wir könnten den Individualismus sogar so lassen, wie er ist, nur das Ziel müsste sich ändern. Yoga und Vedanta geben uns das Lebensziel des menschlichen Wachstums, des Wachstums des Individuums in seiner Moral, in seinem Verständnis, in seinem Herzen. Statt der Freiheit des Habens die Freiheit der menschlichen Entfaltung. Könnten wir dieses Ideal nicht in unsere westliche Kultur integrieren?


Die Vorbilder und Ideale für eine bessere Zivilisation müssen nicht neu erfunden werden. Sie sind über Jahrtausende unter dem Einfluss des Yoga und Vedanta perfektioniert worden. 

 

Unsere Botschaft an die Welt lautet also: Es gibt bereits Werte und eine Weltanschauung, die zu einer friedlichen, nachhaltigen und harmonischen Zivilisation führen würden. Sie sind über fünftausend Jahre herangereift. Es sind Vedanta und Yoga. Und als Advaita-Vedanta-Philosophie sind sie sogar mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft problemlos vereinbar. Sie stellen uns die edelsten Lebensziele vor Augen, die ein Mensch haben kann: das Wachsen in der Menschlichkeit. In ihren eigenen Begriffen ausgedrückt: sādhanā, dharma, ahiṃsā, sevā, abhyāsa, vairāgya, dhyāna, svādhyāya und so weiter. Die Begriffe mögen für die Menschen im Westen fremdartig klingen, ihr Inhalt ist jedoch nobel und inspirierend, und durchaus mit der besten Werten unserer Kultur vereinbar.


Yoga und Vedanta: fünftausendjähriges Fundament der Zukunft

 

Lassen Sie uns näher auf den Yoga und den Vedanta eingehen: Welche Werte ergeben sich aus ihnen? Welche von ihnen brauchen wir heute am meisten und warum? Wenn ich daran denke, was ich selbst zuerst gelernt habe, fallen mir Demut und Genügsamkeit ein.

 

Demut ist etwas, das wir im Westen schon vor sehr langer Zeit verloren haben. Sie war nicht mit dem Individualismus vereinbar. Inzwischen fällt es uns sogar schwer, dieses Ideal zu begreifen. Wir verbinden sie mit Unterwerfung und sehen sie als Einschränkung unserer Persönlichkeit. Was im Land des Yoga unter Demut verstanden wird, hat etwas mit Lernbereitschaft zu tun, mit Offenheit gegenüber anderen Menschen, mit der Anerkennung der Größe der Schöpfung und mit der Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeiten.

 

Ein Sprichwort in Sanskrit sagt: „Ein mit Früchten beladener Baum beugt sich, aber ein trockener Stock beugt sich nie.“ So verstandene Demut ist die Voraussetzung für die innere Entwicklung des Einzelnen und den Frieden zwischen den Menschen. Demut und die Überwindung des Egos bezeichnen denselben Zustand des Geistes und des Herzens. Sie macht uns stark. In unserer heutigen Kultur verfügen wir über einige Werte, die uns den Zugang zu einer so verstandenen Demut ermöglichen: Neugier und Offenheit für neue Ideen oder Verantwortungsbewusstsein. Wir müssten nur lernen, Demut zu schätzen und sie in unseren Kanon der Grundwerte aufnehmen.

 

Und warum sollten wir das tun? Weil wir ohne sie die Natur zerstören und ihre Ressourcen aufbrauchen werden. Weil wir ohne Demut das Ziel unserer Existenz, nämlich in unserer Menschlichkeit zu wachsen, nicht erreichen können.


Ein Baum, der mit Früchten beladen ist, verbeugt sich. Ein trockener Stock tut dies nie. 

Wenden wir uns nun der Genügsamkeit zu, der Sparsamkeit im Umgang mit den Ressourcen oder der Grundhaltung, mit dem zufrieden zu sein, was man gerade besitzt oder zur Verfügung hat. Nur ein kleiner Teil dessen, was die Menschen zu brauchen glauben, ist auf die objektiven Bedürfnisse ihres Körpers und ihres Geistes zurückzuführen. Der Rest entspringt den Begehrlichkeiten und der Gier, die keine natürlichen Grenzen haben. Wenn wir sie nicht bewusst und kritisch hinterfragen, wachsen sie mit jeder Befriedigung weiter an.

 

Genügsamkeit und Zufriedenheit sind das Ergebnis dieses Hinterfragens. Sie können aus einer rein rationalen Überlegung heraus entstehen oder das Resultat einer inneren Zufriedenheit des Menschen sein. Im ersten Fall führen sie ganz natürlich zu einem Gefühl des inneren Friedens. Im zweiten sind sie das Ergebnis der bereits empfundenen inneren Harmonie. Diese Genügsamkeit und Zufriedenheit haben wir dringend nötig. Und warum?

 

Sie führen automatisch zu einem geringeren Verbrauch der Ressourcen der Natur und reduzieren die Verschwendung. Sie entkoppeln unser Denken und unsere Lebensziele vom Konsum. Sie schenken uns Zeit und schaffen mehr Raum für unser menschliches Wachstum. Sie schwächen Wettbewerb, Gier und Egoismus in der Gesellschaft und stärken die Gemeinschaft durch mehr Offenheit, Solidarität und Hilfsbereitschaft.

 

Genügsamkeit ist natürlich. Die ganze Natur, mit Ausnahme des Menschen, ist genügsam. Wir haben sie aus unserem Wertekanon verbannt, weil sie dem Kapitalismus im Wege stand. Damit haben wir die natürliche Ordnung der Welt zerstört. Die einzige Lösung besteht darin, zur natürlichen Ordnung des Lebens zurückzukehren – durch Genügsamkeit. Objektiv betrachtet und aus der Sicht der Gesellschaft hat sie nur positive Folgen. Die einzigen Verlierer dieses gesellschaftlichen Konzepts sind die Menschen, die aus unserem ungezügelten Konsum Kapital schlagen.

 

Ein Lehrer der Genügsamkeit war Gandhi, der einen Bleistift benutzte, bis er den Rest noch gerade zwischen den Fingern halten konnte. Genügsamkeit sind keine Verbote, sondern eine Grundhaltung gegenüber der Welt. Wie auch immer man Genügsamkeit für sich selbst konkret umsetzt, diese Haltung wird den Unterschied zwischen einer zerstörerischen und einer nachhaltigen Zivilisation machen.


Eine nachhaltige Zivilisation kann nur gelingen, wenn wir die Gier aus dem Kern des Designs unserer Zivilisation verbannen. 

Weitere Werte, die auf dem Boden des Vedanta gediehen sind, sind Gewaltlosigkeit, Frieden, Respekt vor jedem Menschen und vor allem Leben, Selbstverantwortung, die Aufforderung, an sich selbst zu arbeiten, Selbstdisziplin, das Ideal des Dienens, Pflichtbewusstsein gegenüber der Familie, dem sozialen Umfeld, der Gesellschaft und den Bedürftigen, Respekt vor Älteren und Lehrern, Verantwortung für den überlassenen Reichtum, Ausgeglichenheit und Bescheidenheit. All das sind Werte, die uns immer mehr abhanden kommen. Wir brauchen sie aber dringend, wenn wir eine friedliche, nachhaltige und erfüllende Zukunft aufbauen wollen.


Vedanta, Yoga und soziales Engagement

 

Über eines sollten wir uns im Klaren sein. Vedanta und Yoga sind für das Individuum gedacht. Das Ziel ist die Befreiung des Einzelnen. Auch wenn wir das Ziel auf möglichst viele Menschen ausweiten, ist es immer ein individueller Weg, den jeder von uns geht.

 

Vedanta und Yoga haben sich noch nicht mit sozialen Problemen befasst. Natürlich haben Dharma und Sadhana der Einzelnen einen sehr positiven Einfluss auf die Gesellschaft. Aber die Notwendigkeit grundlegender systemischer Veränderungen (z. B. einer neuen Beziehung zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Natur) ist heute so groß, dass die Fokussierung auf das Individuum allein nicht ausreicht. Vedanta sollte anfangen, sich mit sozialen Fragen zu beschäftigen.


Meine Bitte an die Swamis, an Vedanta und Yoga ist, die sozial engagierten Laien in ihrer Arbeit zu unterstützen. 

Ich weiß, das ist ein Minenfeld. Die Sannyasins werden sich dort wahrscheinlich nicht wohlfühlen, und ich verstehe das sehr gut. Ich weiß auch, dass es sehr gute Gründe gab und gibt, diese Themen zu meiden. Aber die Welt braucht Vedanta, um ihre grundlegenden, dringenden Probleme zu lösen – das ist meine These. Also müssen wir, die Laien, mehr Verantwortung übernehmen. Swami Vivekananda hat eine Brücke zwischen Vedanta und sozialer Veränderung gebaut, die uns diese Aufgabe erleichtert.


Brauchen wir für eine nachhaltige und harmonische Zivilisation Spiritualität?

 

Die nächste Frage ist: Brauchen wir im Westen wirklich Spiritualität – nicht nur als Einzelne, sondern auch als integralen Bestandteil unserer Kultur? Könnten wir nicht alle unsere Probleme mit Geld, Technologie und organisatorischen Maßnahmen lösen?

 

Ich denke, die beste Antwort auf diese Frage ist die Welt um uns herum. Als Zivilisation sind wir eindeutig in eine Sackgasse geraten, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass wir umkehren werden. Alle Lösungsvorschläge des politischen und gesellschaftlichen Mainstreams sind einfach eine Fortsetzung des bestehenden Systems. Und es ändert nichts, dass so viele Menschen darüber reden, wie wir mit dieser Zivilisation den Planeten zerstören und uns selbst schaden. Offensichtlich sind die Kräfte und Mechanismen unseres zivilisatorischen Systems stärker als das, was wir innerhalb dieses Systems erreichen können.

 

Das bedeutet, dass ein völlig anderes System erforderlich ist, eins, das der Natur den Raum zurückgibt, den sie braucht, eins, das den Menschen nicht zu einem Konsumenten degradiert. Dieses System wird nicht auf dem Spielfeld von Wirtschaft, Finanzen und Politik entstehen. Es wird außerhalb des vorherrschenden Systems, seiner Regeln und seiner Werte geboren werden. Und seine Ziele werden den ganzen Menschen im Blick haben müssen, denn wenn wir unsere Ziele erneut auf den „denkenden und begehrenden Körper“ und seine Freiheit „zu tun und zu haben, was er will“, ausrichten würden, hätten wir am Ende nur Gier und Egoismus in anderer Verkleidung.

 

Nun kann das Neue nur innerhalb dieser Gesellschaft entstehen – wir haben keine andere. Es gibt in der Tat kleine Keime für eine alternative Lebensweise und eine andere Wirtschaft. Sie sind notwendig und wichtig. Aber sie können das vorherrschende System nicht mit der Geschwindigkeit überwinden, die notwendig ist, um die Biosphäre und die menschliche Zivilisation zu retten. Dazu bedarf es eines stärkeren Anstoßes, und es gibt keine stärkere Kraft für Veränderungen als den Wunsch, den Traum, den Willen der Menschen. Dies ist das Feld, auf dem sich die Zukunft entscheiden wird.

 

Heute wird dieses Feld von politischen Zynikern und vom großen und kleinen Geld bespielt. Mein Appell an die intellektuellen Eliten des Westens lautet, den Menschen neue Ideale, Ziele und Lebensentwürfe aufzuzeigen. Die Menschen hungern nach Hoffnung, und die kann nur aus einem neuen Traum von einer besseren, harmonischen und erfüllten Welt kommen.


Die Welt braucht ein anderes Ideal für ein erfülltes Leben und eine gute Gesellschaft. Ich appelliere an die intellektuellen Eliten, dieses Ideal zu entwerfen und dabei nicht darüber zu streiten, welche Ideen die besten sind. Reden wir lieber über das, was uns verbindet – davon gibt es genug! 

Kann dieser Traum im Zusammenhang mit den materiellen Bedürfnissen und Sehnsüchten der Menschen im Westen entstehen? Nein. Kann er im Kontext der geistigen Bedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen stark genug werden? Nun, dieser Versuch wurde zu Beginn der industriellen Revolution unternommen, aus der das heutige zivilisatorische System hervorging. Und leider brauchen wir heute wieder eine Art von Aufklärung, denn der menschliche Geist ist inzwischen zum Sklaven des Systems der Kapitalvermehrung degradiert worden. Doch kein neuer Traum, der groß genug wäre, um die Welt heute zu verändern, kann im Zusammenhang mit den intellektuellen Bedürfnissen der Menschen entstehen.

 

Diese Kraft kann nur in der menschlichen Seele geboren werden. Die Menschheit muss ihre spirituelle Heimat wiederfinden. Sie muss die Amputation ihrer Spiritualität durch die materialistische, nutzenorientierte Kultur rückgängig machen. Dort, in der Seele, liegt die einzige Quelle der Erneuerung, die genug Kraft hat, um die Welt zu verändern. Ohne Spiritualität bleiben wir dem derzeitigen zerstörerischen zivilisatorischen System ausgeliefert.


Sollten wir die indische Spiritualität in die westliche Kultur integrieren?

 

Aber muss es denn eine Spiritualität indischen Ursprungs sein? Es gibt Alternativen. In jeder Weltreligion, auch im Christentum, gibt es eine mystische Tradition. Sie sind herzlich eingeladen, sich einer dieser spirituellen Quellen zuzuwenden. Sie alle brauchen heute unsere Aufmerksamkeit. Es gibt auch die Weltsicht der indigenen Völker, die ihre spirituellen Wurzeln nie verloren haben. Jeder Weg, der den Menschen ihre spirituelle Heimat zurückgibt, ist willkommen.

 

Das Weltbild, das uns die indigenen Völker präsentieren, ist für viele ansprechend, weil diese Völker nachweislich so leben, wie sie reden. Das ist überzeugend. Auf Indien angewandt, ist das nicht der Fall: Was wir in Indien beobachten, steht oft im Widerspruch zu den Idealen, über die wir auf diesem Vedanta-Gipfel sprechen. Deshalb müssen wir es deutlich sagen, dass diese Ideale und Werte nie über das gesamte gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Leben Indiens bestimmt haben. Und schon gar nicht während der letzten fast Tausend Jahre der fremden Herrschaft, die in einer von den Britten aufgezwungenen westlich geprägten Beeinflussung mündete. Und am wenigsten in der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Übrigens, wenn wir das tun, wiederholen wir nur, was Swami Vivekananda gesagt hat.

 

Indien ist sowieso ein zu großes, heterogenes und komplexes Gebilde, um diese Übereinstimmung zwischen den besten Werten seiner Kultur und der gesellschaftlichen Realität aufrechtzuerhalten. Aber was in Indien immer Bestand hatte, was immer von vielen Menschen dort befolgt wurde, sind die spirituellen und humanen Ideale von Yoga und Vedanta. Wenn wir also heute nach Vorbildern und Idealen suchen, schauen wir auf Vedanta und Yoga, nicht auf die politischen und sozialen Ereignisse in Indien – weder im Verlauf seiner Geschichte noch heute.

 

Und um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir begrüßen jeden Weg, der zu mehr spiritueller Reife und mehr menschlicher Verantwortung für andere und für die Natur führt. Wir schlagen jedoch vor, den Weg der indischen Spiritualität zu wählen (im Falle des Buddhismus wäre das Spiritualität, die in Indien geboren und aufgewachsen ist). Die indische Spiritualität ist ein starker, gesunder Baum (die Metapher eines ganzen Waldes wäre eigentlich passender), der vermutlich seit mehr als fünftausend Jahren ununterbrochen wächst und herrliche Früchte trägt.

 

Ich habe meine Wahl schon vor vielen Jahren getroffen und kann Ihnen berichten, dass die Yoga Sadhana eine unerschöpfliche Quelle der Kraft und des Glücks ist. Darüber hinaus gibt mir Advaita Vedanta eine intellektuelle Heimat, in der nicht nur meine Seele, sondern auch mein Geist wachsen kann. Und weil die indische Spiritualität einen wissenschaftlich fundierten praktischen Weg und eine Weltsicht bietet, die unserem modernen Denken entspricht, halte ich sie für bestens geeignet, der suchenden Menschheit den Weg aus der Sackgasse der heutigen Zivilisation zu zeigen.


Wie können wir all diese Veränderungen einleiten?

 

Nun stellt sich die Frage: Was können wir tun? Was können Sie und ich und alle anderen tun?

 

Es gibt Menschen, die ich von ganzem Herzen liebe. Swami Vivekananda ist einer von ihnen. Er war ein perfekter Yogi, Philosoph und spiritueller Lehrer, aber er war so anders als die anderen Yogis. Ein Yogi ist zurückhaltend, wirkt indifferent, heute würden wir sagen „cool“. Swamiji hingegen ist „heiß“: spontan, temperamentvoll, ein Idealist, ein Kämpfer. Und er hat eine Vision für die Welt, die uns aus der Sackgasse des Konsumdenkens und der Seichtheit herausführen würde. Eine große Vision. Ich persönlich lasse mich in dem Wenigen, was ich tun kann, von ihm inspirieren ...

 

Die meisten Menschen sagen: „Ich kann die Welt nicht ändern.“ Aber wir müssen die Welt verändern! Swamiji sagt immer wieder: „Gebt mir ein paar Hundert mutige und entschlossene Männer und Frauen [in jedem Land], und ich werde die Welt verändern.“ Er ruft: „Steht auf, Männer und Frauen, wagt es, an die Wahrheit zu glauben!“ Wen meint er, wenn er das sagt? Er meint nicht einen alten Mann wie mich. Er meint junge, entschlossene Frauen und Männer, die zu kämpfen bereit sind.

 

Aus Swamijis Aussagen ergeben sich Fragen. Die erste ist: Wie können wir diese mutigen Frauen und Männer erreichen? Die zweite lautet: Können sie wirklich erfolgreich sein und wie?


Vedanta, Yoga und die Umgestaltung der Zivilisation

 

Es ist Gottes Schöpfung, also gehe ich persönlich davon aus, dass sie weitergeht und dass die so offensichtlichen Fehler der Menschheit für irgendetwas gut sein müssen. Um es einfach auszudrücken (und an einen persönlichen Gott denkend): Gott weiß, was Er/Sie/Es tut. Aber Gott braucht uns. Gott zerstört weder die Wälder noch wird Er sie wiederherstellen. Gott verbreitet keinen Hass, und wir selbst müssen den Hass in unseren Herzen durch Liebe ersetzen. Es ist nicht nur so, dass wir Gott brauchen. Gott braucht auch uns, um Güte und Verständnis in der Welt wachsen zu lassen. Alles hängt also von uns ab. Mit uns meine ich mich und Sie und jeden Einzelnen von uns.

 

Die einzige wirkliche Veränderung in der Welt ist die Veränderung, für die sich jeder von uns entscheidet. Alles andere ist nur Selbstdarstellung in den Medien. Es wirbelt den Staub auf und vergeht. Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir uns selbst verändern. Wenn wir Liebe in unseren Herzen haben, wird sich die Liebe in der Welt ausbreiten. Das ist meine feste Überzeugung. Und so verstehe ich persönlich auch die Vision von Swami Vivekananda.

 

Seine Vision ist: Verändere dich selbst, erweitere dein Herz und dein Verständnis – das wird die Welt verändern. Ja, das ist seine Vision. Das ist auch die Vision meines Gurudevs und all der anderen großen Yogameister, die die einzigartige Botschaft des Vedanta in den Westen gebracht haben. Und das Beste daran ist: Jeder Einzelne von uns kann es tun.

 

Wenn wir jedoch gemeinsam handeln, können wir dieses Wachstum von Güte und Liebe stärken. Gemeinsam können wir die Ausbreitung von Verständnis und Wahrheit beschleunigen: durch gemeinsames Handeln, durch Strukturen. Auch davon bin ich überzeugt.


Die Vision einer besseren Welt muss erhaben und inspirierend sein. Swami Vivekananda hat uns eine solche Vision hinterlassen. 

Nun sind wir hier in Europa, und es ist ein europäischer Vedanta-Gipfel. Lassen Sie uns also diese Botschaft aus unserer Perspektive betrachten. Swami Vivekananda sagte über die Nationen, dass nichts sie unterdrücken kann, solange sie ein Ideal, eine Vision haben. Aber wenn sie ihr Ideal aufgeben, wird ihre Zeit kurz sein.

 

Das ist eine große Wahrheit. Sie kann uns sehr helfen, unsere heutige Welt zu verstehen. Was ist die Vision der westlichen Gesellschaften heute? Worauf zielt unsere Kultur ab? Noch einmal: Ich spreche nicht von den Präambeln der Verfassungen oder von dem, was Professoren an den Universitäten ihren Studenten erzählen mögen. Ich spreche von den tatsächlichen Kräften, die unsere Wirtschaft und die Entscheidungen der Regierungen bestimmen. Wir haben bereits darüber gesprochen: im Grunde genommen mehr Geld und Spiele.

 

Das ist der wahre Grund, warum unsere Kultur im Niedergang begriffen ist, warum wir dabei sind, die Natur zu zerstören, warum wir die Demokratie und den Frieden gefährden. Wir brauchen dringend wieder ein echtes Ideal, eine Vision, ein Ziel. Swami Vivekananda stellt uns eine solche Vision vor. Er zeigt uns eine Perspektive, die Perspektive einer Zivilisation, die auf der Gleichheit aller Menschen beruht, aber nicht auf einer Gleichheit, die auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner beruht. Seine Vision ist die des Wachstums der Menschen, bis sie die Göttlichkeit in sich selbst entfaltet haben. Dies ist eine Gleichheit in Göttlichkeit. Was für eine Vision! Welch ein Ziel für das menschliche Leben! Diese Vision – nicht nur für das Individuum (diese ist Tausende Jahre alt), sondern auch für die Gesellschaften – ist ein großer Beitrag von Swami Vivekananda zur menschlichen Zivilisation. Dies ist die Inspiration, die er uns hinterlassen hat. Sind wir bereit, ihm zu folgen? Lasst es uns versuchen. Lasst uns versuchen, diese große Vision zu verbreiten.

 

Nur dann wird eine Zivilisation möglich, die aufbaut, anstatt zu zerstören. Eine bessere Gesellschaft auf einem gesunden Planeten wird nur mit einem Bewusstsein möglich, das alle und alles einschließt.


Die nächste Phase der Evolution – Bewusstsein

 

Meine ultimative Schlussfolgerung ist, dass die Menschheit eine Aufgabe vor sich hat: Wir müssen eine Gesellschaft aufbauen, die auf Zusammenarbeit und Solidarität beruht, eine Gesellschaft, die das humane Wachstum aller unterstützt.


Die Menschheit hat eine Pflicht: Wir müssen eine Zivilisation aufbauen, die zur Gemeinschaft des Lebens auf unserem Planeten beiträgt. 

Die nächste Phase der Evolution des Lebens wird sich vor allem im Bewusstsein der menschlichen Spezies abspielen. Die biologische Evolution hat die Lebewesen und die Koexistenz des Lebens perfektioniert. So wie die Koexistenz des Lebens ein perfektes harmonisches Ökosystem geschaffen hat, wird die nächste Stufe der Evolution, die Evolution des Bewusstseins, eine perfektionierte menschliche Gemeinschaft hervorbringen müssen. Dies ist ein neues Terrain der Evolution, die sich jetzt im menschlichen Verständnis, der Moral und der Empathie abspielt. Die Kraft für diesen Evolutionssprung kann nur im Verständnis und im Herzen der Menschen wachsen. Dieses Wachstum hat einen Namen – Spiritualität. Es gibt ein Sanskrit-Wort, das dieses Wachstum in der Menschlichkeit genau definiert: Sadhana. Wenn wir eine harmonische menschliche Gemeinschaft wollen, die auch in Harmonie mit der Gemeinschaft des Lebens lebt, sollten wir uns des enormen Schatzes von Yoga und Vedanta bedienen, der unschätzbaren, fünftausend Jahre alten Erfahrung der indischen Spiritualität.


Die nächste Aufgabe der menschlichen Zivilisation besteht darin, eine Gesellschaft aufzubauen, die Harmonie, Zusammenhalt und Schönheit schafft. 

Liebe in der Gesellschaft wird nur entstehen, wenn unsere Liebe wächst. Rechtschaffenheit in der Gesellschaft wird nur möglich sein, wenn sich genügend von uns entscheiden, ihre persönliche Rechtschaffenheit auszubauen. Eine gerechte Gesellschaft kann nur aus der Summe unserer Selbstlosigkeit entstehen.

 

Es ist aber kein bloßes Aufaddieren. Wir gehen diesen Weg gemeinsam und können uns gegenseitig unterstützen. Die menschliche Gemeinschaft, die Kultur und Zivilisation müssen anfangen, dieses Wachstum gezielt zu fördern. Das ist es, was die Nachfolge von Thakur Shri Ramakrishna*, Swami Vivekananda und Shri Sarada Devi wirklich bedeutet. Lasst es uns versuchen.

 

Es sind nicht die Argumente, nicht die Fakten und Daten, nicht die Diskussionen und Verhandlungen, die die Geschichte verändern. Es ist eine Vision, ein Traum, eine Sehnsucht, die die Welt verändert. Lasst uns uns für die richtige Vision, den richtigen Traum entscheiden.



Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren: Advaita Vedanta und die Zukunft der Zivilisation


Wenn Sie sich fragen, wie wir die Änderung unserer Zivilisation praktisch herbeiführen können, empfehle ich das Buch: "Redesigning Civilization: Wie erschaffen wir die westliche Zivilisation neu?" von Alan P. Stern


Wenn Sie sich näher über die Vision von Swami Vivekananda und sein Verständnis der Religion informieren möchten, empfehle ich Ihnen das Buch "Meine Botschaft an das Abendland".


Weitere Artikel zum Thema Advaita Vedanta und Yoga:


*Die Vedanta-Gesellschaft e.V. in Berlin hat gerade die deutsche Übersetzung des von Swami Nikhilananda verfassten Biografie von Shri Ramakrishna Paramahamsa unter dem Titel "Das Leben von Sri Ramakrishna" herausgegeben. Dort findet man auch Publikationen über Shri Sarada Devi und Swami Vivekananda.

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