An der Bioneers-Konferenz „Beyond the Great Unraveling — Weaving the World Anew“ (Über die große Entwirrung hinaus – Die Welt neu ordnen) wurde auch über die Rechte der Natur gesprochen. Hier mein letzter Bericht.
Besitzt die Natur Rechte?
Im europäischen Rechtsverständnis haben die Menschen Rechte, aber nicht die Natur. Unternehmen sind Subjekte des Rechts, nicht aber die Flüsse, die von diesen Unternehmen vergiftet werden. Unser Recht sieht die Natur nämlich als etwas, was nicht lebt, als tot, als Dinge.
Diese Überzeugung liegt bereits seit dem antiken Griechenland im Kern unseres westlichen Denkens und die Aussage der jüdischen Bibel „Macht euch die Erde untertan“ hat sie noch verstärkt. Francis Bacon schrieb einmal, dass es das Ziel der menschlichen Zivilisation ist, die Natur auf einer Folterbank zu quälen, um ihre Geheimnisse zu entlocken. In unseren Gesetzbüchern werden die Wälder und die Tiere, die Erde und die Meere, die Luft und die Flüsse als Ressourcen betrachtet. Solange wir das nicht ändern, werden wir in unserem Kampf um die Rettung der Natur nicht erfolgreich, sagten Mari Margil und Thomas Linzey vom Center for Democratic and Environmental Rights.
Trotz allen Gesetzen zum Umweltschutz, hat sich in den letzten Jahrzehnten die Lage der Natur stets verschlechtert. Warum?
Und das ist die Antwort: Das Recht versucht lediglich die Benutzung der Natur zu regulieren. Es bestimmt z. B., wie viel verschmutzt oder zerstört werden darf. Der CO2-Ausstoß, die Zerstörung der Böden in der konventionellen Landwirtschaft, die Vernichtung von Lebensräumen der Tiere und Pflanzen sind legal. Der Grund dafür ist, dass der derzeitige Umweltschutz sekundär ist: Er wird aus den Rechten der Menschen abgeleitet. Deswegen müssen heute erst Menschen zu Schaden kommen und dann beweisen, dass dieser Schaden aufgrund der Naturverschmutzung zustande gekommen ist, um vor Gericht zu gehen.
Die Natur muss in unserem Recht den Menschen und den Unternehmen gleichgestellt werden.
Das würde sich diametral ändern, wenn die Natur eigene Rechte bekommen hätte. Deswegen kämpft das Zentrum darum, dass die Rechte der Natur auf eine höhere Stufe gehoben werden. Es geht um die Anerkennung von Schutzrechten für die Natur, die in ihrer Art den Zivilrechten der Menschen entsprechen. Dies ist ein Paradigmenwechsel. „Als ich vor fünfzehn Jahren darüber gesprochen habe“, sagte Thomas Linzey, „haben Juristen den Saal verlassen, weil sie dachten, dass ich verrückt bin.“
Seitdem hat sich allerdings viel verändert. Mehrere autonome Gebiete in den USA, die von den indigenen Völkern verwaltet werden, haben diesen Paradigmenwechsel vollzogen. Diese Völker sahen die Natur schon immer als etwas Lebendes, als Schwestern und Brüder, als Mutter. Auch zunehmend viele Kommunen folgen diesem Beispiel. Sie bringen sich damit rechtlich gesehen der Industrie oder den Landesbehörden gegenüber in eine viel stärkere Position.
Wir können nicht mehr so tun, als ob wir die Natur nach dem herkömmlichen Recht schützen könnten.
Einen großen Meilenstein in diesem Kampf hat im Jahr 2008 Ecuador gesetzt. Die Rechte der Natur wurden dort in das Grundgesetz aufgenommen. Der Artikel 7 besagt, dass die Natur Rechte besitzt, darunter das Recht zu existieren, wiederhergestellt zu werden und sich zu entwickeln. Weil jetzt konkrete Fälle bis zum Obersten Gericht des Landes vorgedrungen sind, hat das Gericht klargestellt, dass es die grundsätzliche Pflicht des Staates ist, das zu respektieren und durchzusetzen, was in der Verfassung garantiert und festgelegt ist. Daraus folgt, dass die Regierung eine gestalterische Pflicht zum Naturschutz hat. Sie muss dafür sorgen, dass die Rechte der Natur eingehalten werden. Die Entscheidungen des Staates müssen mit den Rechten der Natur in Einklang stehen. Das führte dazu, dass das Parlament sich gerade alle relevanten Gesetze anschaut, um zu prüfen, ob sie nicht gegen die Rechte der Natur verstoßen.
Wenn Ihr denkt, dass Deutschland beim Naturschutz ganz vorne ist, muss ich Euch enttäuschen.
Ähnlich starke Rechte der Natur haben danach Bolivien und Uganda etabliert. In Kolumbien, Indien, Bangladesch haben einzelne Ökosysteme ihre eigenen Rechte bekommen. In Philippinen, Australien, Nepal und Schweden wird an solchen Initiativen gearbeitet. „Es ist wirklich ein Wendepunkt“, sagte Mari Margil. Und wo ist Deutschland?
Es ist nicht genug, wenn wir sagen, dass die Natur Rechte hat. Man muss diese Rechte explizit in unserem Rechtsystem etablieren. Man muss sie kodifizieren. Erst dann werden wir in unserem Kampf um den Naturschutz wirklich erfolgreich.
Die Natur muss zu einer lebenden juristischen Person werden. Erst dann werden wir ihre Rechte wirksam vertreten können.
Corona-Kapitalismus
Kenny Ausubel, der Mitbegründer der Bioneers, sprach in seiner Keynote über die Pandemie als Bedrohung und als Chance. Eine große Bedrohung ist der Corona-Kapitalismus. Konzerne und Großunternehmen erhalten von den Regierungen gewaltige Subventionen. Die Hilfen der Fed werden auf 4 bis 10 Billionen Dollar geschätzt. Kenny nannte sie den größten Raub in der Geschichte. Gleichzeitig führt der Corona-Kapitalismus in den USA ein vorsätzliches Aussterben kleiner und mittlerer Unternehmen herbei. Es zeichnet sich ab, dass die Arbeitslosigkeit die der großen Wirtschaftskriese der 30er Jahre übertreffen wird. Die Pandemie wird in der amerikanischen Wirtschaft eine Welt der Riesen und Zwerge hinterlassen.
Der Reichtum in den USA war bereits vor der Pandemie mehr als zwei Mal so konzentriert wie im kaiserlichen Rom, das eine Sklaven- und Bauerngesellschaft war. Wenn Milliardäre eine Nation wären, wären sie das drittgrößte Land der Welt. Was wir gerade erleben, sind die Todeskrämpfe des oligarchischen Wirtschaftssystems. COVID ist der Vorgeschmack auf das, was das Klimawandel noch auslösen wird, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Die Doppelkrise aus Klimachaos und extremer Ungleichheit wird sich schnell weiter verschärfen und als Reaktion darauf, werden die Menschen in immer größerer Zahl dagegen ankämpfen, Veränderungen fordern und bewirken.
Der Corona-Kapitalismus wird den Zerfall des derzeitigen Wirtschaftssystems beschleunigen.
Die Hoffnung
„Mit dem Zusammenbruch kommt der Durchbruch“, meinte Kenny Ausubel. Die große Entwirrung macht den Raum für Renaissance und Regeneration frei. Das Kunststück besteht nun darin, das Positive aus dem Negativen zu entwickeln. Initiativen, die vor nicht allzu langer Zeit noch radikal oder unmöglich erschienen, scheinen nun in Reichweite zu sein. Die neuen Lösungen können zu einem besseren Wirtschaftssystem führen, zu mehr Gleichheit, zur Stärkung des öffentlichen Sektors und zu neuen Arbeitsplätzen.
Ein Grüner New Deal kann ökologische Heilung und soziale Gerechtigkeit zusammenführen. Er kann alle auf der ganzen Welt in ein großes grünes Beschäftigungsprojekt einbinden, das sinnvolle, existenzsichernde Arbeitsplätze sowie ökologische und soziale Gerechtigkeit schafft. Die Priorität wird sich von Wachstum und Expansion zu Suffizienz und nachhaltigem Wohlstand verschieben. Hinter der verbissenen Polarität von Kapitalismus und Sozialismus kann eine Wirtschaft in den Diensten des Gemeinwohls, des Klimaschutzes und der Gerechtigkeit entstehen. Es wird eine Wirtschaft, die Sicherheit, generationenübergreifende gemeinschaftliche Wertschöpfung und eine viel breitere Verteilung des Eigentums anstrebt.
Wir müssen das Eigentum des Menschen an der Erde beenden.
Das Wort Krise kommt von dem griechischen Wort krino. Es bedeutet: entscheiden. Wir müssen uns entscheiden, welche Zukunft wir wollen, und so handeln, als ob unser Leben davon abhängen würde – denn das tut es. Ein Schlendern in Richtung Nachhaltigkeit wird das Blatt nicht wenden. Nur sofortiges, mutiges und transformatives Handeln wird uns den Sprung über den Abgrund ermöglichen. „Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu erschaffen. Das ist es, was wir hier tun wollen. Alle Macht der Phantasie“, schloss Kenny Ausubel seine Keynote ab.
Wir werden an unserer Gesellschaft erkannt
Das Online-Kongress endete mit einem wunderschönen Lied gesungen von Thrive Choir und MaMuse mit Gesichtsmasken in einem winzigen Garten in South Brooklyn: „We shall be known by the company we keep“. Es hat mich zu Tränen gerührt. Das Lied endet so:
It is time now, it is time now that we thrive
It is time we lead ourselves into the well
It is time now, and what a time to be alive
In this Great Turning we shall learn to lead in love
In this Great Turning we shall learn to lead in love
Investiert Eure Tränen weise, werdet trotzdem nicht zu geizig mit ihnen.
Euer Alan
Weitere Artikel zum Thema Pflichten gegenüber der Natur:
Comments