Ich nehme an einer faszinierenden Konferenz teil (mit über tausend Teilnehmern aus 39 Ländern und 120 Referenten) zu den Themen des Wandels und möchte mit Euch die interessantesten Informationen und Aussagen teilen.
Ich begegne dort vielen wunderbaren Menschen: praktischen Visionären, die gerade die Welt verändern. Das gibt mir Mut, dass wir die Wende irgendwie schaffen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, dass wir uns vernetzen, dass wir uns gegenseitig tragen und stärken, inspirieren und unterstützen. Eine bessere Plattform dafür als die Bioneers Konferenzen kenne ich bisher nicht. Sie bringt Wissenschaftler und Community Leaders, Politiker und Führer der indigenen Völker, Vordenker und Praktiker zusammen: Menschen aller Hautfarben und jedes Alters. Aus dieser Vernetzung entstehen Ideen und Projekte und die Community wächst vom Jahr zu Jahr.
Es ist bereits die 31. Jahreskonferenz der Bioneers, die erste, die online stattfindet. Bioneers ist eine in Santa Fe im Jahr 1990 gegründete Non-Profit-Organisation. Sie gruppiert Menschen, die sich für die Lösung der dringenden ökologischen und sozialen Probleme der Welt einsetzen.
Der Titel der diesjährigen Konferenz lautet „Beyond the Great Unraveling — Weaving the World Anew“ (also in etwa: Über die große Entwirrung hinaus – Die Welt neu ordnen). In Vorträgen, Podium- und Gruppendiskussionen wird über Ökologie, über den sozialen und politischen Wandel, Gleichberechtigung, Basisdemokratie und alternative Wirtschaft gesprochen.
Mein Ziel ist nicht Berichterstattung – dafür ist auch die Fülle des Programms zu groß. Ich möchte Euch einfach etwas über die Themen, Fakten und Menschen schreiben, die mich persönlich am meisten beeindruckt haben.
Die menschliche Zivilisation steht auf dem Spiel
Es ist ermutigend zu sehen, wie in der Breite der Gesellschaft die Meinung keimt, dass wir unsere Zivilisation und Lebensweise grundsätzlich verändern müssen. Den Menschen, die auf der Konferenz sprechen, ist das bereits seit Jahren und Jahrzehnten klar. Sie sprechen darüber, dass wir praktisch alle Aspekte unseres gemeinsamen Lebens neu erfinden müssen. Und weil alles miteinander verbunden ist, geht das nur, wenn wir die Probleme ganzheitlich lösen und über Natur, Gesellschaft und Wirtschaft als ein System denken.
Wir müssen auch unsere Kultur, unser Denken, unsere Einstellung zur Politik, unsere Lebensweise ändern. Der Umbau beginnt mit der Veränderung des Herzens, mit inneren Werten, mit der Haltung der Dankbarkeit für alles Leben. Die Konferenz begann mit einem Gebet gesprochen vom Präsidenten des Global Center for Indigenous Leadership and Lifeways aus Alaska. Es ist die Einstellung der indigenen Völker überall in der Welt, Denkbarkeit der Natur gegenüber zu spüren, Natur die uns einen Platz zum Leben, unser Essen, die Luft und Wasser schenkt.
„Wenn wir unsere Herzen öffnen, werden wir geleitet und wissen, was zu tun ist.“ Wir müssen nicht nur die Natur schützen, wir sollen von ihr lernen. Wenn wir vor einem Problem stehen und die Lösung nicht wissen, können wir uns fragen, wie die Natur es lösen würde. Es ist eine Partnerschaft und wir sind der Juniorpartner!
Alles ist lebendig, alles ist miteinander verbunden, alles ist intelligent, alles ist verwandt.
Demokratie sanieren
Der wichtigste Wandel in der Gesellschaft muss eine Verschiebung von der Ich-Kultur zu der Wir-Kultur sein. Dafür ist eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber nötig, wie wir unsere Demokratie verändern müssen. Die Zukunft wird uns nur gelingen, wenn wir wahre Staatsbürger werden. Das bedeutet, uns in verschiedenen Gemeinden einzubringen, aktiv zu werden. Demokratie funktioniert nur, wenn sie in Kleinem beginnt. Deswegen ist die gegenwärtig wichtigste Aufgabe, Menschen in den politischen Prozess zu bekommen – konkret durch Handeln und nicht nur durch Reden. Aber auch das Reden müssen wir verändern: Wir müssen z. B. die sozialen Medien neu kalibrieren, so dass sie den Menschen und der Gesellschaft nutzen.
Es gibt keine politische Maßnahme oder ein Gesetz, das uns retten wird oder uns Gerechtigkeit gibt. Wir müssen uns selbst retten.
Oren Lyons, ein Vertreter des Onondaga-Volkes in Bundesstaat New York, beschrieb, wie die Demokratie seines Stammes funktioniert. Die Gemeinschaft besteht aus sechs Volksstämmen. Wenn ein neuer Chief gewählt werden soll, wird in dem Stamm, der den Häuptling stellen soll, eine der Frauen damit beauftragt, einen Kandidaten zu finden, dem alle zustimmen. Danach geht sie zu den Häuptlingen der übrigen Stämme, die ihrem Kandidaten im Konsens zustimmen müssen. Wenn sie das erreicht, muss sie noch um die Zustimmung aller Stammesmitglieder in allen fünf Völkern werben. Erst wenn alle zugestimmt haben, ist der neuer Chief im Amt. „Das ist Demokratie“, sagte Oren.
So praktizierte Demokratie erfordert harte Arbeit, viel Disziplin und Verständnis für die Zusammenarbeit. Alle Menschen sind eine Familie. „Wenn ihr das nicht zum Fundament eures Denkens macht, wird ihr eure Demokratie nicht reparieren“, sagte der 90-jähriger Weiser.
Global Safety Net
Nach über zwei Jahren Arbeit ist die Webapplikation www.globalsafetynet.app online gegangen. Sie ist das Ergebnis der Arbeit eines Forschungsteams, das von der Forschungsorganisation RESOLVE in Zusammenarbeit mit der University of Minnesota, der Arizona State University und Globaïa geleitet wird, mit finanzieller Unterstützung von One Earth.
Riesige Datenmengen wurden dafür benutzt, eine interaktive Weltkarte zu erstellen: Sie zeigt ein Netzwerk von Schutzgebieten, die für Natur und Mensch lebenswichtig sind. Zum ersten Mal wurde auf diese Weise aufgezeigt, welche Gebiete weltweit geschützt oder der Natur zurückgegeben werden müssen, um die Biodiversität auf unserem Planeten dauerhaft zu erhalten und zu helfen, die Klimaerwärmung unter 1,5° C zu halten. Die Wissenschaftler haben errechnet, dass dafür 50,4 % der Erdoberfläche geschützt werden müssen.
Über ein viertel dieser Fläche wird von indigenen Völkern bewohnt. Das zeigt, welche Bedeutung der Schutz die Ureinwohner hat. Sie haben die Natur, in der sie leben, schon immer beschützt. Sie sind die Garantie dafür, dass diese Gebiete nicht wieder ausgebeutet werden. Schutz der indigenen Völker ist gleichzeitig Naturschutz.
Eine Vertreterin der Brazilian Coordination of Indigenous Peoples in the Amazon (COIAB) sprach darüber, wie der Regenwald am Amazonas zerstört wird, um Soja anzubauen. Soja wird vor allem dafür benutzt, Schlachttiere überall in der Welt zu futtern. „Wir müssen die Leute dazu bringen, sich bei ihren Entscheidungen darüber, was sie essen, unwohl zu fühlen“, sagte sie. Zusätzlich ist eine weltweite Kennzeichnung von Fleisch notwendig: Den Konsumenten muss klar sein, wo das Futter angebaut wurde. Wenn wir das nicht kurzfristig umsetzen, wird es bald zu spät für den Urwald in Brasilien sein.
Wir haben keine Zeit mehr, um Fehler zu machen.
Bereits über 3 Millionen Menschen weltweit haben die Petition www.globaldealfornature.org unterschrieben. Sie richtet sich an die Regierungsvertreter, die sich im nächsten Jahr in China zur 15. Weltbiodiversitätskonferenz versammeln werden. Der Hintergrund dieser Petition ist "Global Deal for Nature" – ein Pendant zum Pariser Klimaabkommen, um den Schutz und die Wiederherstellung von Lebensräumen, nationale und regionale Naturschutzstrategien und die Befähigung indigener Völker zum Schutz ihrer Gebiete voranzutreiben. Das Ziel eines solchen Abkommens wäre, die Hälfte der terrestrischen Welt zu schützen, um die Ausrottungskrise zu stoppen und gleichzeitig die Lebensgrundlagen der Menschen zu erhalten.
Die nächsten Berichte folgen bald.
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