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Andreas Sternowski

An Charles Eisenstein

Aktualisiert: 3. Dez.


Auf der Webseite von Charles Eisenstein gibt es auch die deutsche Übersetzung seines vielbeachteten Essays „Extinction and the Revolution of Love“. Es ist ein wichtiger Text und ich kann die Lektüre nur empfehlen. Allerdings bin ich der Meinung, dass der Autor mit seinen Aussagen auf dem halben Weg stehengeblieben ist, und habe deswegen den folgenden Kommentar verfasst.


Delfin im sauberen Ozean


Klar ist alles, was Du, lieber Charles, schreibst, wahr. Aber es ist nicht die ganze Wahrheit.


Ohne Genügsamkeit gibt es für uns auf einer lebenden Erde nicht genug Platz


Wir, die Menschheit, müssen dem Rest der Natur einen großen Teil des Raumes in unserem gemeinsamen Zuhause, dem lebendigen Planeten, zurückgeben. Was bedeutet das aber konkret? Kann eine Erde mit einer großflächig intakten Natur 10 Mrd. Menschen ernähren, sie kleiden, ihnen ein Haus geben, die Kommunikations- und Verkehrsmittel und alles andere, was sie brauchen, um ihre Kultur zu erhalten, zur Verfügung stellen?


Ich weiß es nicht. Aber eins ist für jeden objektiv denkenden Menschen, also jenseits jeglichen Wunschdenkens und Selbsthypnose, klar: dass wir uns einschränken müssen. Wir müssen genügsam werden. Das bedeutet weniger Zeug, weniger Wohnfläche, weniger Durch-die-Gegend-Fahren, einfacheres Essen usw. Nicht ein bisschen weniger, sondern viel weniger. Das ist eine Wahrheit, die niemand auszusprechen wagt.


Ist diese Genügsamkeit wirklich notwendig? Gibt es keine Alternative? Schon, und das Schiff unserer Zivilisation, das Du beschreibst, fährt mit voller Wucht auf diese Alternative zu: Wir bringen uns gegenseitig um, und aus 10 Milliarden wird wieder eine Milliarde. Wollen wir das?


Das also ist die eine unbequeme Wahrheit, über die niemand schreiben will. Es gibt aber noch eine zweite.



Bei der ersten würde ein Teil Deiner Leser wahrscheinlich noch nicken – es sind ja kluge und um das Gemeinwohl besorgte Menschen. Bei der zweiten steigt ein Großteil von ihnen aber vermutlich aus. Unserer Zivilisation (und damit ihren Folgen für den lebendigen Planeten) liegt ein bestimmtes Welt- und Menschenbild, ein bestimmtes Verständnis des Zwecks der Schöpfung und des menschlichen Lebens zugrunde. Unsere Kultur und unsere Zivilisation sind ein zwingendes Ergebnis dieses Welt- und Menschenbildes. Wir können nicht erwarten, dass wir die lebendige Erde als heilig betrachten, wenn wir sie als bloße Materie sehen. Das schreibst Du auch.


Aber was bedeutet das konkret? Es bedeutet, dass wir ein Bewusstsein größer und mächtiger als unser eigenes wieder akzeptieren. Wir werden Es diesmal vielleicht anders nennen, wir werden vielleicht klüger bei unseren Schlussfolgerungen und hoffentlich viel klüger bei unseren Versuchen, das Göttliche in das gesellschaftliche Leben zu übersetzen, aber unter dem Strich bedeutet es, dass wir Spiritualität und Religion ins Zentrum unserer Kultur stellen. Das bedeutet auch, dass wir uns in die Ordnung der Lebewesen als ein demütiger Teil eines größeren Ganzen einreihen, dass wir das Ziel unseres Lebens von materiellem Besitz, von wachsender Bequemlichkeit und immer ausgefallenerer Unterhaltung nach innen, in das innere Universum des Menschen, verlagern, dass wir uns selbst als Individuen und als Gattung Grenzen setzen, dass wir den „Plan“, den Willen dieses größeren Bewusstseins ganz nach vorne und unseren Egoismus, unseren rechthaberischen Individualismus und Egozentrismus ganz nach hinten stellen. Das ist doch die Wahrheit, über die niemand spricht, besonders wenn die Leser „links“ und „grün“ sind.


Diese Welt ist nicht für den Menschen da, wenigstens nicht so, wie wir ihn im Westen definiert haben. Seine Evolution, sein Wachstum findet in seinem Bewusstsein, in seiner „Heiligkeit“ statt; nicht in der materiellen Welt. Wir müssen also beides tun: durch Genügsamkeit der intakten Natur ihren Platz zurückgeben und das Göttliche in unsere Kultur wieder einbürgern und das Heilige in uns zu unserem Ziel erklären. Erst dann wird der lebendige Planet wieder heil.


Genügsamkeit wird der Natur Platz machen. Um die Natur dauerhaft zu schützen, müssen wir allerdings unsere Kultur grundsätzlich verändern.

Wenn ich das sage, interessiert das niemanden. Wenn Du, lieber Charles, das sagst, werden sie Dir zumindest zuhören. Auch wenn anschließend nur einige wenige diese Wahrheiten mitnehmen, wäre das eine große Änderung für den lebendigen Planeten. Eine wirkliche Änderung geschieht nämlich in jeder und jedem Einzelnen von uns. Das ist die einzige wirkliche Veränderung, die die menschliche Gesellschaft kennt. Die Veränderungen in der Zivilisation sind immer die Folge des Verständnisses, der Moral, der Verantwortung, der Storys und der Lebensziele der Menschen.


Dein Andreas



Falls Sie meine Sicht teilen, wird Sie vielleicht interessieren, dass Alan P. Stern beides, die Genügsamkeit und unsere Entwicklung in Menschlichkeit, als tragende Säulen bei seinem Vorschlag für die Umgestaltung unserer Zivilisation benutzt hat: „Redesigning Civilization, Wie erschaffen wir die westliche Zivilisation neu?“.


Andreas Sternowski ist Verleger im Continentia Verlag, wo er Bücher über den Wandel zur Nachhaltigkeit und Verantwortung publiziert. Seine Vision ist eine Gesellschaft, die auf gerechtem und bereicherndem Miteinander und auf Harmonie mit der Natur beruht.


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